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Hubert von Goisern / 07.10.2008 / Bielefeld, Ringlokschuppen

hubert01.jpg„Volksmusik“ hat hierzulande bei den meisten Menschen einen ganz niedrigen Stellenwert. Sobald einem dieser Begriff über die Lippen kommt, denkt man automatisch an Patrick Lindner, Marianne & Michael, die Kastelruther Spatzen oder Florian Silbereisen: man denkt an brav-frisierte, dauergrinsende Hackfressen, die das triste Dasein unserer Senioren versüßen sollen.

In keinem anderen Land wird die traditionelle Musik so stark mit etwas Negativen und vor allem Scheinheiligen verbunden wie in Deutschland. Und weil man hier in Deutschland immer jemanden braucht, dem man die Schuld in die Schuhe schieben kann, schieben wir es einfach auf die Musikindustrie der 70er Jahre. Als volkstümliche Musik in den 60er Jahren langsam populär wurde und Anfang der 70er Jahre die Beatmusik mit ins Spiel kam und sich daraus der volkstümliche Schlager entwickelte, erkannten die Plattenfirmen das gewinnbringende Potential. Das traditionelle Liedgut wurde in Deutschland von diesem regelrechten volkstümlichen Mainstream-Wahnsinn über die Jahrzehnte hin geschluckt. Was übrig bleibt sind leichtverdauliche Samstag-Abend-Sendungen auf den öffentlich-rechtlichen Sendern und ein fahler Beigeschmack, wenn man im Musikunterricht Lieder wie „Horch was kommt von draußen rein“ singen muss. Mit jugendlicher Rebellion hat das rein gar nichts mehr zu tun – so wie es früher einmal war.

ABER ZUM GLÜCK GIBT ES MUSIKER WIE HUBERT VON GOISERN, die das deutschsprachige Liedgut hochhalten und es nicht ausnehmen wie eine Weihnachtsgans… die versuchen, es ein Stück weit weiter zu entwickeln und für unsere Nachkommen zu dokumentieren.
Die Presse schreibt gerne über Hubert von Goisern, dass er Anfang der 90er Jahre den „Alpenrock“ erfunden und die Volksmusik deshalb revolutioniert hat. Ich mag den Begriff „Alpenrock“ nicht, weil er viel zu flach und einfältig ist… und die Musik, die Hubert von Goisern eigentlich macht, rein gar nicht beschreibt. Sein musikalischer Stil ist tief verwurzelt in der heimatlichen, traditionellen Musik und geht über in Rock, Pop, Blues und Jazz. Oft vermischen sich die Stile so sehr, dass man es überhaupt nicht mehr kategorisieren kann. Ein Glück!

Dass Hubert von Goisern in seinem Dialekt singt, ist wohl ein Grund mehr für alle Nicht-Bayern und Nicht-Österreicher, seine Musik komisch und uncool zu finden. Das war wohl auch der Grund, weshalb ich mich dazu entschied, mir eins seiner Konzerte in Norddeutschland anzusehen. In Nürnberg hatte ich ihn bereits 1994 und 2004 live gesehen: das erste Mal mit seiner Band „Hubert von Goisern & die Original Alpinkatzen“ (mit denen er 1993 den großen Durchbruch erlangte) und das zweite Mal, als er mit seinen Alben TRAD und TRAD II unplugged alte Volkslieder aus dem Salzkammergut neu interpretiert darbot. 2008 sollte es also nicht mehr Nürnberg sein sondern: Bielefeld. Eigentlich wollte ich mir ja das Konzert in Hamburg – meinem aktuellen Wohnort – ansehen, aber berufliche Termine verhinderten dies leider. Aber Bielefeld ist für Süddeutsche mindestens so norddeutsch wie Kassel für Hamburger süddeutsch ist: passt also auch. Aber wie groß die kulturelle Differenz zwischen Österreich und Bielefeld auch sein mag, sie hinderte die Besucher nicht daran, zahlreich zu dem Konzert an einem Dienstag Abend im Bielefelder Ringlokschuppen zu erscheinen.

Ohne Vorband ging es pünktlich um halb neun Uhr los. „Die ersten drei Lieder ohne Blitz“ war die Anweisung am Eingang und mit mir quetschten sich noch zwei weitere Fotografen durch den Pressegraben. Das Licht war beim ersten und wichtigsten Lied SOLIDE ALM wirklich furchtbar: ‚wichtig‘, weil es das einzige der ersten drei Lieder war, wo Hubert Akkordeon spielte und ‚furchtbares Licht‘, weil ‚Blau von hinten und Magenta von vorne gar nicht geht, liebe Lichttechnik‘! Beim vierten Lied mischte ich mich unters Publikum, wo es allerdings mehr als langweilig zuging. Der Altersdurchschnitt lässt sich leicht auf 50 und älter schätzen und wenn man dann mal einen Mittdreißiger traf, lächelte man sich freundlich zu. Ich kam mir vor wie zuletzt bei Jethro Tull.

Die Liedauswahl war zu Beginn stark auf das neue Album S’NIX ausgerichtet… ein Nachteil für diejenigen, die es noch nicht gehört haben, da es einen nicht sofort zum Tanzen zwingt. Wie es bei langjährigen Musikern mit vielen Veröffentlichungen immer so ist, fehlte natürlich die Hälfte der Lieder, die man sich gewünscht hatte. Und obwohl das Konzert ganze 3 Stunden dauerte, spielte Hubert von den beiden TRADitionellen Alben leider nur WANN I DURCHGEH. Es kam also erst beim achten Lied LANDLERTANZ richtig Stimmung auf. Da bemerkte man hier und da ein paar Einzelpersonen, die sich durch extatisches Tanzen hervorhoben. Ab da wendete sich das Blatt und man sah mehrere Leute tanzen, klatschen und … singen. Ja, tatsächlich! Ob sie die Inhalte der Texte verstehen sei mal dahingestellt – das hat man damals in den 60er Jahren bei englischen Texten auch nicht. Obwohl es schon wichtig ist, was Hubert von Goisern zu sagen hat, weil seine Texte oft politisch sind und zum Denken anregen. Es sprang im Publikum keiner auf mit erhobener Faust und bis zum Schluss verhielt sich das Publikum mehr als gesittet. Leider!… wobei dieses Verhalten nichts mit der Qualität des Auftritts zu tun hatte. Hubert von Goisern hatte sich eine musikalisch hochtalentierte Band zusammengestellt aus Schlagzeuger, Bassist, Gitarrist, Sounddesigner/Keyboarder und drei Sängerinnen, wovon zwei Violine spielten und eine percussionierte. Allerdings waren die Showeinlagen und Posierungen der Bandmitglieder an vielen Stellen übertrieben und hätte man besser weggelassen. Schlimmer war, dass ab und zu sogenannte „Anheizer“ auf der Bühne auftauchten und herumkasperten, um das Publikum zu animieren. Das war absolut nicht nach meinem Geschmack, den Leuten schien es aber gefallen zu haben.

Was auf jeden Fall nicht fehlen durfte war die Gänsehaut! Die Gänsehaut bei leisen Stücken wie DA JUCHITZER und die Gänsehaut, die man bekommt, wenn das Akkordeon einsetzt. Dieses Instrument hat diesen wahnsinnigen Klang, bei dem ich – im richtigen Moment eingesetzt – sofort eine Gänsehaut bekomme und das ein so tiefes Gefühl in mir wachruft. Scheinbar war ich bei dem Konzert nicht die einzige, die es zwischendrin geschüttelt hat. Hubert von Goisern spielt mindestens so gut Akkordeon und extrovertiert wie Jimi Hendrix seine E-Gitarre. Man kann total abtauchen und will, dass es nie wieder aufhört.

Gegen Ende des Konzerts kam ein Mann zu mir in die erste Reihe (in die ich mich vorgetanzt hatte, nachdem einige Besucher vor mir schon früher gegangen sind), lächelte mich an und sagte „Wow, das ist so ein großartiges Konzert!“. Leider konnte er durch Zurufe zwischen den letzten beiden Liedern die Musiker nicht dazu bewegen, D’SCHWOAGRIN zu spielen… aber wahrscheinlich lag es daran, dass sie ihn schlicht und ergreifend nicht verstanden.

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Hubert Achleitner wurde 1952 in Bad Goisern in Österreich geboren. Sein musikalischer Werdegang begann während der Schulzeit, als er in der lokalen Blasmusikkapelle die Trompete spielte und aufgrund seiner langen Haare kurze Zeit darauf vom Kapellmeister rausgeschmissen wurde. Danach lernte er Gitarre, E-Gitarre, Klarinette und brachte sich selbst das Spielen auf dem diatonischen Akkordeon bei. Mit 20 Jahren flüchtete er nach Südafrika, arbeitete dort als Chemielaborant und kehrte drei Jahre später wieder nach Österreich zurück. Er hatte Heimweh. In den nächsten Jahren bereiste er viele Länder und kam in Berührung mit den jeweiligen Volksmusiken dort und fand so zu seinem eigenen musikalischen Stil – einer Mischung aus seiner heimatlichen traditionellen Musik und der Einflüsse aus anderen Kulturen und Musikrichtungen.
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