Startseite » Im Gespräch mit Liam Finn

Im Gespräch mit Liam Finn

Ein sonniger Tag im Juni neigt sich dem Ende entgegen und Liam Finn wartet auf seinen ersten Deutschland-Auftritt seit drei Jahren. Zuletzt hatte der bärtige Neuseeländer der Bundesrepublik im Winter des Jahres 2008 einen Besuch abgestattet und sein erstes Solo-Album „I’ll be lightning“ anhand weniger Konzerte live vorgestellt. Nun steht Finns zweites Album kurz vor der Veröffentlichung.

10 Songs wird „Fomo“ enthalten, die alle samt in Auckland, der Heimat des Musikers, aufgenommen wurden. Zwei Auftritte werden es diesmal sein, die Liam Finn in Deutschland bestreitet: einen in Berlin und einen in Haldern. Vorab seines Konzerts in der Hauptstadt findet der Multi-Instrumentalist noch Zeit für ein Telefon-Interview mit uns. Im Freien, wie es scheint und höchstwahrscheinlich bequem in einem Lehnstuhl sitzend, mit einem Kaltgetränk vor sich, plaudert Finn über Nervosität vor Auftritten, wie sich der Late-Talker David Letterman privat verhält und auf Nachfrage auch darüber, dass mit ihm vielleicht ein brillianter Basketballer der Öffentlichkeit vorenthalten geblieben sein könnte. Im Hintergrund trommelt eine Samba-Gruppe.

Liam, hast Du bereits von den erneuten Erdbeben in Christchurch gehört? Wie geht es Dir im Moment?

Es ist eine wirklich schwere Zeit für die Leute, die Häuser in Christchurch haben, die sie momentan natürlich nicht verkaufen können. Es ist eine tragische Situation. Jeder will irgendwie helfen, aber keiner weiß genau wie. Du kannst keine Erdbeben verhindern.

Wie schwer ist für Dich in diesem Moment auf Tour zu sein, während Du weißt, dass gerade schlimme Sachen in der Heimat passieren?

Na ja, irgendwie ist es gut, unterwegs zu sein und das alles nicht direkt mit zu bekommen. Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich von der Nord-Insel komme, also die Dinge genau so wie der Rest der Welt mitbekomme: Durch die Medien. Offensichtlich bestimmen diese Ereignisse die Medien in Neuseeland allerdings stärker als anderswo. Es ist schwierig nachzuvollziehen, was die Menschen in Christchurch gerade durchmachen. Ich habe keinen Vergleich, weil ich noch nie ein Erdbeben erlebt habe. Aber um auf Deine Frage zurück zu kommen. Auf der einen Seite bin ich froh, gerade nicht in Neuseeland zu sein, auf der anderen Seite ist es wichtig, den Menschen nach wie vor bewusst zu machen, dass es immer noch Leute in Neuseeland gibt, die kein Dach über dem Kopf haben.

Im Internet kursiert ein Video, in dem Du Deine Heimatstadt Auckland vorstellst. Was macht die Schönheit Deiner Heimatstadt aus? Du bist unter anderem am Strand zu sehen, der von Auckland aus schnell zu erreichen ist.

Ich habe eine Verbindung zu der Stadt. Ich meine, ich bin dort aufgewachsen. Der Strand, der im Video zu sehen ist, spielt tatsächlich eine große Rolle für mich. Dort habe ich gelebt, als ich an meinem neuen Album geschrieben habe. Er hat mich sehr inspiriert. Aber um ehrlich zu sein, war es das erste Mal seit langer Zeit, dass ich wieder in Neuseeland gelebt habe. Davor habe ich 7 Jahre in London gelebt und war eigentlich permanent auf Tour. Es war schon ein Schock, als ich zurück gekommen bin. Ich meine, ich hatte eine gute Zeit, aber ich hatte auch vergessen, wie klein Auckland doch sein kann und irgendwie auch klaustrophobisch.

War das Leben in Europa demnach eine große Umstellung für Dich?

Auf jeden Fall, eine sehr große Umstellung. Ich bin mit meiner Band Betchadupa nach London gezogen, als ich noch sehr jung war. Die Band gab es schon länger, aber in England mussten wir wieder bei Null anfangen, was wirklich hart war. Ich meine, London ist wirklich hart. Es ist teuer und die Leute sind ein bisschen fixiert, aber irgendwann gewöhnt man sich daran und lernt, die Stadt zu genießen. Ich weiß allerdings nicht, ob ich dort noch einmal leben könnte. Ich bin dort gern zu Besuch, aber es gibt auch andere Orte an denen ich vielleicht leben würde und dieses viele Reisen erhält auch irgendwie die Kreativität aufrecht.

Aber die Zeit in London hat Deine Entwicklung als Musiker beeinflusst, oder?

Definitiv. Ich habe die Band verlassen, habe meine Beziehung beendet und begonnen, viele Songs zu schreiben, um mich irgendwie aus diesen harten Zeiten heraus zu ziehen. Und all das macht mein erstes Solo-Album aus…

…“I’ll be lightning“. Um auf Dein neues Album zu sprechen zu kommen, dass demnächst hier in Deutschland erscheint: Es klingt ziemlich danach, als würdest Du wieder rocken wollen. Stimmt das?

(lacht)Yeah! Ich meine, ich wollte repräsentieren, was gerade in meinem Leben vor sich geht. „I’ll be lightning“ war auch ein Teil von mir, aber irgendwie schon ziemlich melancholisch. Mit dem neuen Album wollte ich die Stimmung und Energie einfangen, die ich auf der Bühne erlebe.

Das Album klingt, als wärst Du eine komplette Band. Wolltest Du diesen Effekt erzielen?

Ich denke schon. Das war auch das, was ich auf der Bühne erreichen wollte. Ich bin allein getourt und habe Loops und solches Zeug verwendet…ich meine, irgendwie klingt das vielleicht wie eine Band, die aber trotzdem nur ich bin. Ich wollte auch ein wenig Abstad zu den Dingen, die ich in der Vergangenheit gemacht habe. Jedes meiner Alben sollte anders sein. Zumindest für mich, so kann ich mich selber beständig fordern. Ich glaube das hat ganz entscheidend dazu beigetragen, dass sich das Album so anhört, wie es sich anhört.

Lass uns noch einmal auf „I’ll be lightning“ zurück kommen. Du hast den Song „Second Chance“ in vielen US-Fernsehschows gespielt. Würdest Du sagen, dass das Dein Durchbruch war?

Auf jeden Fall. Ich meine, Du kannst verdammt viel touren und verdammt hart arbeiten und manchmal hast du das Glück gefragt zu werden, ob die in solch einer Show spielen willst und dadurch viel mehr Leute zu erreichen, als zuvor. Ich glaube, die Art wie wir „Second Chance“ gespielt haben, EJ (Anm. d. Red. Eliza Jane Barnes, ebenfalls neuseeländische Solo-Künstlerin) und ich an den Drums und der Gitarre, hat schon dazu beigetragen, wie die Leute mich fortan wahrgenommen haben.

Das war im Übrigen auch mein erster Kontakt mit Deiner Musik. Ich habe Dich bei Letterman gesehen, der sehr von Deinem Auftritt beeindruckt schien. Hat er irgendwas daraufhin zu Dir gesagt, als die Sendung zu Ende war?

(lacht)Nein, nicht wirklich. Er kam auf die Bühne, um sich von seinem Publikum zu verabschieden, zog sein Sakko aus, ließ EJ es halten, schültelte mir die Hand, schütelte ihr die Hand, sagte tschüss und das wars.

Er war also nicht so nett, wie er immer wirkt.

Na ja, er war nett genug. Er war nicht unfreundlich oder so, aber es wirkte, als wolle er schnell in sein Auto steigen und nach Hause fahren. Er hängt nach der Sendung nicht mehr ab und trinkt ein Bier. (lacht) Obwohl das lustig wäre. Aber trotzdem hat mich seine Reaktion gefreut oder besser gesagt, dass wir ihn so haben reagieren lassen. Ich meine, er sieht viele Bands.

Aber es war auch ein großartiger Auftritt!

Oh, vielen Dank. Ich hatte eine gute Zeit, aber ich war auch verdammt aufgeregt. Du spielst vor so vielen Leuten. Ich bin mit dieser Show aufgewachsen. Du siehst viele Bands spielen und irgendwann entsteht der Traum, irgendwann auch einmal bei Letterman zu spielen. Ich bin fast verrückt geworden, als es so weit war! (lacht)

Du hast außerdem bei Later with Jools Holland in England gespielt. Gibt es Unterschiede zwischen amerikanischen und britischen Formaten, zum Beispiel in der Art, dass Holland sich eher auf die Musik einlässt?

Ich denke schon. Seine Show ist eine reine Musikshow. Er kann sich also eher auf die Musik einlassen. Aber letzlich sind alles großformatige Shows, mit großen Crews und extremen Deadlines. Alles wirkt also sehr hektisch. Aber trotzdem mag ich diese Shows, weil du die Möglichkeit hast, dich einem großen Publikum zu präsentieren. Und außerdem hast Du während der Aufzeichnungen nur einen Versuch deinen Song zu spielen. Entweder machst du es brilliant oder es endet in einem Desaster. Ich mag diese Situationen und ihre Energie.

Du hast eben gesagt, dass Du nervös warst. Bist Du es noch?

Auf eine gute Art. Ich fühle mich gut, wenn ich spielen kann, aber ich mag es auch ein wenig nervös zu sein. Ich glaube, wenn ich aufhöre nervös zu sein, sollte ich aufhören Musik zu machen. Das ist der Punkt.

Ist es schon einmal vorgekommen, dass irgendetwas auf der Bühne total schief gelaufen ist, das Du zum Beispiel einen Loop verpasst hast?

Ja, das ist schon ‚mal vorgekommen. Dann musst du lernen, das Ganze nicht wie einen Fehler aussehen zu lassen, sondern etwas Gutes daraus zu entwickeln. Ich glaube auch, dass Fehler eine bessere Show entstehen lassen, weil du auf diese Weise mit dem Publikum kommunizieren kannst und die Zuschauer spüren, dass sie Teil der Show sind. Wenn alles glatt läuft, ist es irgendwie langweilig.

Da Du gerade die Kommunikation mit dem Publikum ansprichst: Was bevorzugst Du- große Bühnen oder kleine Clubs?

Ich glaube, ich bevorzuge kleinere Clubs, weil sie intimer sind und du dichter am Publikum bist. Du spürst die Energie direkter und stärker, was auf großen Bühnen einfach verloren geht. Wenn du große Festivals spielst, stehst du manchmal nur vor einem Meer aus Gesichtern…ja…ich denke, ich bevorzuge kleine Shows.

Du hast Eliza Jane erwähnt. Wie wichtig ist sie für Deine Auftritte?

Für die Solo-Auftritte war sie sehr wichtig, weil sie mich stimmlich und rhytmisch unterstützt hat. Jetzt habe ich allerdings eine Band, die mit mir tourt. Mein jüngerer Bruder Elroy spielt Schlagzeug, Joe, ein Freund von mir aus Neuseeland, spielt Bass. Ich meine, ich spiele immer noch Loops ein und ich gehe auch noch ans Schlagzeug. Die Gefahr bleibt also bestehen. (lacht) Wir haben mittlerweile zwei Drum-Kits auf der Bühne, weil wir auch parallel spielen. Die Shows haben immer noch wilde Aspekte. EJ hat kürzlich ihr eigenes Album in Australien veröffentlicht und ich bin jetzt mit einem Trio unterwegs. Aber wer weiß, vielleicht tritt sie irgendwann der Band wieder bei. Es wäre schön, ihre Stimme wieder zu hören.

Genießt Du es, wieder mit einer Band auf die Bühne zu gehen? Hast Du das in der Vergangenheit vermisst?

Ja. Als Duo unterwegs zu sein, ist schon ein großer Unterschied. Ich habe Loops gespielt und Percussion. Ich habe mich darin wieder gefunden, eine Ein-Mann-Band zu sein, was aufregend und neu für mich war. Jeder Abend war spontan und anders, aber nach einer gewissen Zeit habe ich gemerkt, dass ich immer routinierter wurde und in immer gleiche Muster verfallen bin. Mit der Band fühlt sich das Alles wieder frisch und spontan an. Elroy und Joe sind unglaublich.

Du hast gesagt, dass Du es nicht magst, als Singer/Songwriter bezeichnet zu werden. Warum nicht?

(lacht) Na ja, immer wenn ich mir das Bild eines Singer/Songwriters vorstelle, denke ich an einen einsamen Typen mit einer Akustik-Gitarre, der seinem gebrochenen Herzen nachweint…aber das ist vielleicht auch meine eigene Unsicherheit. Ich glaube, ich empfinde diese Singer/Songwriter-Kategorisierung als einschränkend. Ich kann mich damit abfinden ein Solo-Künstler zu sein, aber nicht damit, einer gewissen Art von Musik zu entsprechen. Die Art von Musik, die ich machen will, mache ich. Ich glaube, deswegen mag ich diesen Singer/Songwriter-Stempel nicht.

Demnach ist Dein neues Album auch kein Singer/Songwriter Album, sondern ein Rock-Album. Oder wie siehst Du das?

Yeah, ich glaube, dass es ein Rock-Album ist, aber es liegt an euch Journalisten eine passende Definition dafür zu finden. (lacht) Die Beurteilung obliegt den Kritikern und den Leuten, die in den Plattenläden arbeiten. Was mich betrifft, so wäre ich gern eine Grunge-Band…vielleicht mache ich irgendwann ein Grunge-Album…

…dem sehe ich schon mit Freuden entgegen. Du hast gesagt, dass die Aufnahmen zu „Fomo“ sehr hart waren. Inwieweit haben sie sich zu den Aufnahmen zu „I’ll be lightning“ unterschieden?

Es ist immer schwierig ein zweites Album zu machen. Du verspürst mehr Druck, zumindest war das so bei mir. Vielleicht habe ich mir den Druck auch selber gemacht? Ich hatte an mich selber die Erwartung, etwas besser zu machen, als beim letzten Album. Und in dieser Stimmung habe ich mich auch hingesetzt um Songs zu schreiben: Jeder Song sollte der beste Song sein, den ich jemals geschrieben habe. Erschreckend! Und keine besonders gute Stimmung, um Songs zu schreiben. Irgendwann habe ich erkannt, dass ich keinen Spaß mehr an dem hatte was ich tat. Ich musste mir darüber klar werden was ich will und habe mich dazu entschlossen, einen Produzenten hinzu zu ziehen. Bei „I’ll be lightning“ war das komplett anders: Ich hatte eine große Idee in meinem Kopf, die ich schnell und alleine umsetzen konnte. Das hat diesmal aber nicht funktioniert und ich habe gemerkt, dass ich einfach die Zusammenarbeit mit jemand anderem brauchen würde, um los legen zu können.

Du sprichst es an. „I’ll be lightning“ ist der Inbegriff des Idependent. Du hast sogar die Fotos für Dein Booklet selber gemacht. Wie wichtig war die Zusammenarbeit für Dich und wie sehr bist Du auf die Meinung Deines Produzenten Burke Reid eingegangen?

Es gibt Kompromisse, die man eingeht. Aber wenn wir komplett verschiedener Meinung waren, habe ich mich an das gehalten, was mir wichtig war. Allerdings darf man sich unsere Zusammenarbeit nicht so vorstellen, als wären wir ständig verschiedener Meinung. Es war eher so, dass wir unsere Ideen gegenseitig ergänzt haben. Burke hat zum Beispiel Songs weiter entwickelt, die ich schon längst aufgegben hatte. Es war also eine diplomatische Zusammenarbeit, in der wir sicherlich auch mal verschiedener Meinung waren, aber ich denke, dass fördert die Kreativität umso mehr.

Wird Dein Vater (Anm. d. Red. Neil Finn, Sänger der Band Crowded House) auch wieder auf der Platte vertreten sein? Bei „I’ll be lightning“ war er mit von der Partie.

Ja, er hat damals bei einem Song Bass gespielt. Diesmal hatte er keine Zeit, weil er mit Crowded House unterwegs war. Ich habe fast alles selber gemacht und war froh, dass mir zeitweise ein Drummer für einige Songs zur Verfügung stand.

Wie lang haben die Aufnahmen gedauert?

Ungefähr zwei Monate. Aber ich musste mir erst einmal ein knappes Jahr darüber klar werden, wie ich es anstellen will, ein weiteres Album zu machen. Als das dann klar war, ging es ziemlich schnell.

Letzte Frage. Du bist ein sehr leidenschaftlicher Musiker. Hast Du jemals daran gedacht, irgendetwas anderes als Musik zu machen, zum Beispiel Dein Geld als Fotograf zu verdienen?

Ich glaube, ich mag die Fotografie als ein Hobby, weil der Druck wächst, sobald Du etwas professionell betreibst. Ich habe Dir gesagt wie das bei mir aussieht: Der beste Song und so weiter und sofort. Fotografie macht mir einfach Spaß. Aber als ich jünger war, habe ich total für Basketball geschwärmt und wirklich geglaubt, eines Tages in der NBA zu spielen. Das war mein Traum. Ein unwahrscheinlicher Traum, weil es bisher nur zwei Neuseeländer geschafft haben, dort Fuß zu fassen, glaube ich. Außerdem habe ich mit 14 oder 15 aufgehört zu wachsen. Ich bin also noch ziemlich klein…but I can jump high! (lacht)

…was man auf den Fotos Deines Booklets sehen kann. Was hat eigentlich Deine Mutter dazu gesagt, als Du meintest, Du würdest Basketballspieler werden wollen?

Meine Mutter und mein Vater haben eigentlich alles unterstützt, was ich gemacht habe. Ich glaube, meine Mutter hat schon ein wenig mit den Augen gerollt, von wegen „bitte nicht noch ein Musiker“. Aber mittlerweile ist sie selbst Musikerin, kann also nichts mehr dagegen sagen.

Und Du bist erfolgreich. Ich glaube, dass ist die beste Antwort die man darauf geben kann.

(lacht)Yeah.

Liam, vielen Dank für das Interview und hoffentlich bis bald.

„Fomo“ erscheint am 17. Juni 2011 via Cooperative Music.

 

 

 

 

 

 


Wir freuen uns über deinen Kommentar: