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The Liminanas, Zeichnung Kerstin Kary

Im Gespräch mit der Konzertzeichnerin Kerstin Kary

Konzerte fotografieren kann praktisch jeder. Das kann professionell sein oder einfach mal schnell mit dem Handy. Kerstin Kary zeichnet ihre Konzerterlebnisse. Die Skizzen und Zeichnungen postet sie auf Instagram unter @allyouprettygigs. Ich bin zufällig auf ihren Instagram-Account gestoßen und fand einige Zeichnungen so außergewöhnlich und interessant, dass ich wissen wollte, wer dahinter steckt und hab mich mich Kerstin Kary auf einen Kaffee in Berlin getroffen.

Sie erzählt mir, dass der Name für ihren Instagram-Account aus einem Songtitel von David Bowie entstand – aus „Oh! You pretty things“ wurde „all you pretty gigs“. Dass Musik für sie schon immer wichtig war, erzählt mir Kerstin, und sich wie ein roter Faden durch ihre Arbeiten zieht. Ihr Kostümdesign-Studium in Hamburg hat sie nicht mit einem Theaterstück beendet, sondern mit Kostümentwürfen für u.a. Gavin Fridays „Caruso“, Joy Divisions „She’s Lost Control“ und Suede’s „Pantomime Horse“. Da die Film- und Theaterwelt dann doch nichts für sie war, studierte Kerstin Kary Malerei in Neuseeland. Dabei ist sie geblieben. Es folgten Ausstellungen in Malmö und Berlin und ihr sich ständig verändernder Instagram-Account, auf dem sie ihre Konzerterlebnisse zeichnerisch dokumentiert.

Mainstage: Kerstin, du verbreitest deine Zeichnungen auf Instagram, so wie viele andere ihre Konzertfotos. Wie bist du auf die Idee gekommen, Konzerte zu zeichnen?

Kerstin Kary: Ich bin schon immer sehr gerne auf Konzerte gegangen und auch oft. Vor fünf Jahren habe ich beschlossen, etwas damit zu machen und eine Art Konzerttagebuch zu zeichnen. Ich hatte keine Ahnung, dass ich so lange durchhalten würde. Konzertfotos schaue ich mir eigentlich eher selten nochmal an, aber durch die Zeichnungen findet eine weitere Auseinandersetzung statt. Ich erinnere ich mich anders an die Konzerte. Für mich sind die Zeichnungen eine Ergänzung zur Fotografie. Sie fangen eine andere Atmosphäre ein.

Was für Vorteile siehst du in den digitalen Medien und sozialen Netzwerken – und welche Nachteile?

Natürlich ist es toll, wenn man plötzlich mit jemanden aus L.A. über die Zeichnungen spricht. Es macht manches einfacher, aber nicht alles. In Berlin würde ich viele Konzerte oder Ausstellungen ohne die sozialen Netzwerke gar nicht mitbekommen. Es ist ein schönes Spielzeug und ein schwieriges Thema.

Zu den Nachteilen gehören ganz klar die Art und Weise wie Daten von Konzernen gesammelt werden, aber auch dass man kein Bewusstsein dafür hat, wie viel Energie unsere digitale Zeit eigentlich verbraucht. Ich finde es immer noch sehr befremdlich, was Menschen alles von ihrem Leben preisgeben.

Wie entstehen die Bilder? Direkt auf dem Konzert oder später?

Beides. Teilweise zeichne ich direkt vor Ort, zum Beispiel, wenn ich ins Berghain gehe oder es mir bei einem bestuhlten Konzert gemütlich machen kann. Die Zeichnungen besitzen eine ganz andere Dynamik, einen anderen Strich. Bisher sind die meisten Zeichnungen nach den Konzerten entstanden. Schließlich gehe ich auch immer noch der Musik wegen hin und nicht nur, um zu zeichnen. Seit den beiden Primavera Sound Festivals habe ich mir allerdings vorgenommen, wieder viel mehr direkt beim Konzert zu zeichnen. Festivals zu zeichnen macht irre viel Spaß, bringt mich aber auch an den Rand der Verzweiflung. Da wird das Projekt dann einfach zu einem (sehr zeitintensiven) Biest, dass ich nur noch beenden möchte.

Wie reagieren die Leute bei einem Konzert, wenn sie dich mit Papier und Stift sehen?

Ich mochte es noch nie, wenn mir jemand beim Malen oder Zeichnen über die Schulter schaut. Meistens bekommt es also niemand mit. Meine Skizzenbücher sind klein. In der Verti Music Hall hatte ich mehrmals einen Tisch zur Verfügung, das hat man aber nur im VIP-Bereich – ein Lieblingsoffice. Da habe ich mich dann schon ausgebreitet und Leute miterlebt, die sich neben mir darüber unterhalten haben. Aber angesprochen werde ich beim Zeichnen eigentlich nicht.

Ich habe mal ein paar Bilder herausgesucht, die mir besonders gefallen. Vielleicht könntest du erzählen, wie die Bilder entstanden sind? Das erste ist das der Limiñanas im Festsaal Kreuzberg.

Eines meiner Lieblingskonzerte! Die Band habe ich über einen französischen Radiosender entdeckt und ich war hin und weg von dem Album. Die Erwartungen waren riesengroß -und wurden einfach übertroffen. Ein wahrer Rausch. Es hat sehr lange gedauert bis die Zeichnung fertig war bzw. bis ich überhaupt wusste, wie ich dieses Konzert auf Papier bringen sollte.

 

 

Dann gefällt mir auch Echo & The Bunnymen im Admiralspalast sehr gut, besonders aufgrund der Tiefe des Raumes und dass man trotz der vielen Menschen die intime Atmosphäre spürt.

Echo & the Bunnymen im Admiralspalast war ein Muss und selbstverständlich wollte ich den gesamten Raum festhalten. Wir hatten Plätze auf dem Balkon und ich war sehr froh, dass eine verrückte Gruppe von Fans aus Liverpool in der gleichen Ecke war. Thanks for the party! Manchmal sind bestuhlte Konzerte eben etwas träge. Vom Balkon aus schaute man zunächst auf einen Raum, indem jegliche Bewegung abhanden gekommen schien. Nach ein paar Songs erhoben sich zwei Gestalten im rechten Mittelfeld und feierten die Band. Ein absurdes Bild und für eine ganze Weile die vielleicht meist beneideten Menschen im Parkett. Irgendwann wurde das Publikum dann auch von Ian McCulloch ermutigt, den Tanzbeinen freien Lauf zu lassen und die Tanzfläche war eröffnet. Fazit: Immer wieder Echo & the Bunnymen, aber bevorzugt in unbestuhlten Hallen oder wieder mit den Jungs aus Liverpool.

 

Die Zeichnung von Interpol im Alten Kraftwerk mag ich auch sehr.

Hier ging es mir z.B. wirklich um das Licht, das passte auch zur Geburtstagstour zu Turn On The Bright Lights. Interpol waren lange Zeit eine Lieblingsband – oder sagen wir bis zur Veröffentlichung des dritten Albums. Obwohl ich für die damals auch nach Paris oder Madrid gefahren bin, fand ich sie als Liveband nicht besonders spannend. Es war irgendwie nicht wichtig, ob man in der ersten oder letzten Reihe stand. In Madrid war es das Publikum, das komplett ausrastete – von der ersten bis zur letzten Reihe – und das ganze Konzert in einen Rausch verwandelte. Das war unglaublich! So etwas habe ich nie wieder erlebt. Das Konzert im Kraftwerk war das erste seit der Antics-Tour. Dadurch habe ich dann auch wieder die neuen Stücke gehört und musste mir bei den Konzerten auf dem Primavera eingestehen: Ich bin wieder Fan. Mittlerweile finde ich sie auch live richtig gut und das liegt nicht nur an dem Meer von Discokugeln.

Hast du eine Lieblingszeichnung?

Das ist schwierig und wechselt auch. Aber Lambert im Heimathafen ist ein Liebling; die Zeichnung ist beim Konzert entstanden. Ein paar Striche und da sitzt er am Klavier. Die paar Striche beinhalten alles was für mich wichtig war.

Welche Zeichenutensilien verwendest du am liebsten und warum?

Es gibt einen Lieblingsbleistift, einen Minenstift, und der stammt aus dem Nachlass von dem Onkel einer sehr guten Freundin. Bevor der Stift in meinem Zeichenetui landete, lebte er in einer Wohnung, die gleichzeitig an ein Museum und eine Schatztruhe erinnerte. Faszinierend! Der Bleistift hat Geschichte. Ansonsten sind es eher unterschiedliche Phasen für unterschiedliche Materialien. Ich glaube die ersten zwei Jahre habe ich fast nur mit Bleistiften gezeichnet, danach kam eine Schwarzsteinstiftphase und nun habe ich meine Buntstifte wiederentdeckt.

Wie wirst du von den Künstlern wahrgenommen?

Manchmal werden die Zeichnungen von den Künstlern weiterverwendet oder erneut in Umlauf gebracht. Aus dem Projekt sind auch schon Zusammenarbeiten entstanden die beispielsweise zu dem Plattencover für die Band Wichswut führte oder zu Zeichnungen für die letzte Depeche Mode Video Singles Collection.

Welche Konzerte sind demnächst geplant?

Alex Cameron – über ihn bin ungefähr eine Woche nach seinem letzten Auftritt in Berlin gestolpert – über ein Konzertvideo auf Instagram. Ich bin sehr gepannt und konnte bereits mehrere Freunde für den Künstler begeistern. Ich glaube, er wird meine Erwartungen übertreffen. Und Sometimes with others, seitdem ich Mika Bajinski Anfang des Jahres live gesehen habe, warte ich eigentlich auf das nächste! Das war großartig!

Zum Schluss noch die Frage: wen würdest du gerne mal zeichnen? Hast du einen Wunsch?

Grace Jones & Betty Davis.

Wir bedanken uns bei Kerstin Kary für das Gespräch!

Mehr Konzertzeichnungen von Kerstin Kary findet ihr auf ihrem Instagram-Account: allyouprettygigs.

 

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