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Interpol – Interpol

Wenn Bands, die schon über mehrere Jahre erfolgreich Kunststücke im Musikzirkus feilgeboten haben, plötzlich irgendein Album nach sich selbst betiteln, ist das Wörtchen Selbstfindung meist nicht weit. Mit ihrem vierten Album „Interpol“ setzt die gleichnamige Post-Punk-Kapelle ihr in moderner Großstadt-Melancholie getränktes Werk konsequent ohne große Experimente fort, untermauert ihre Eigendefinition von Dark Wave, bringt sie aber zeitgleich auch ein wenig zum Bröckeln. Zufall oder Zeichen, dass Bassist Carlos Dengler sich hier vor seinem Ausstieg ein letztes Mal die Ehre gibt?

2010 blicken Interpol auf gute zwölf Jahre im Musikgeschäft zurück und ungewiss in die Zukunft. Carlos „D“ Dengler war trotz seiner üblicherweise eher untergeordneten Rolle als Bassist und gelegentlicher Keyboarder der Band maßgeblich und prägend an Sound und äußerem Erscheinungsbild Interpols beteiligt und hinterlässt zunächst eine klaffende Lücke, die man auf dem vierten Album glücklicherweise noch nicht hören, aber nur all zu gut erahnen kann. Inwiefern der bereits angekündigte Abschied sich auf die Stimmung des Langspielers auswirkte, lässt sich nur spekulieren. Bei den kommenden Konzerten wird Dengler vorerst von Dave Pajo und Brandon Curtis von den Secret Machines ersetzt.

Große Überraschungen, Stilwechsel oder ausufernde Experimente hätte sicherlich niemand von Interpol erwartet, denn ihren Klang haben die New Yorker schon vor Jahren mit den ersten Tönen ihres Debuts „Turn On The Bright Lights“ gefunden und in die Musiklexika des zweiten Jahrtausends gemeißelt. Auf den Nachfolgern fanden sich leichte Abwandlungen in Klangfarbe und Spannbreite der Instrumentierung; auf „Interpol“ wollte man sich wieder auf die Wurzeln zurückbesinnen, hieß es in Interviews.

Man gibt sich gewohnt düster elegant und kommt natürlich nicht ohne einen gewissen Grundpegel an Melancholie aus, die wieder atmosphärischer und gefühlsbetonter als der opulenter gehaltene Vorgänger und die Hörerschaft spaltende „Our Love To Admire“ ihre Arme über jedem einzelnen Stück ausbreitet. Doch zäh wie Kaugummi zieht sich die
Schwermut über die düstere Straßenecken und Hochhäuserschluchten, die Schauplätze der verzweifelten Paul Banks’schen Lyrik.

Auf den ersten Blick fehlt den neuen Songs die Dynamik eingängiger Tanzflächen-Stürmer wie dem mittlerweile fast überall verwurstete „Slow Hands“ oder „C’mere“. Besänftigen kann die Abfolge von „Summer Well“, „Lights“ und der etwas flachen Single „Barricade“. Zusammen mit Produzent Alan Moulder (Smashing Pumpkins, The Cure) hat man Kompositionen geschaffen, die zwar vielschichtiger erschienen, doch statt dem typischen Interpol-Sound an zusätzlicher Tiefe und Komplexität zu verleihen, setzen die überlagerten Klangebenen vielmehr die stilprägende Präzision der Band auf’s Spiel. Der auf den Punkt gebrachte Minimalismus der ersten Alben, die sich besonders in den kantigen Riffs auf „Antics“ manifestierte, verschwindet gelegentlich in Undefinierbarkeit.

„Interpol“ gehört definitiv zu der Kategorie grower, dessen Qualitäten sich erst nach mehreren Hördurchgängen entfalten. So etwa die schon fast orientalisch anmutenden Elemente von „Safe Without“ oder das fabelhaft zerbrechliche, intensive „Always Malaise (The Man I Am)“, das nur so strotzt von Paul Banks‘ Zerrissenheit und Leidenschaft, bei der das Leiden noch in Übergröße geschrieben wird. Interpol belohnen Geduld und lassen nach und nach kleine Details und große Zusammenhänge knospen. So bemerkt man schließlich auch, dass das letzte Stück „The Undoing“ bezeichnenderweise ganz ohne Bassspiel auskommt…

I always thought you had great style, great style
And style was worthwhile

„Interpol“ erschien am 10. September 2010 bei Universal/Cooperative Music/Matador

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