Es ist als reiste ich in die Zeit zurück – in mein in Blau-und Gelbtönen gehaltenes Jugendzimmer, in dem ich so manch schöne Stunden verlebt habe. Und das alles, weil ich die neue Platte von Maroon 5 in den Händen halte: Hands All Over. Irgendwie mag ich die alten Zeiten jetzt schon.
Inzwischen sitze ich auf meinem mit der Kommissar Rex-Bettwäsche bezogenem Bett, voller Vorfreude lege ich die CD ein, werfe nochmal einen Blick auf das lebensgroße Poster der Band an der Wand hinter mir – bis hierhin alles wie damals. Doch als die ersten Töne erklingen, merke ich, vielleicht bin ich etwas erwachsener geworden.
Den ersten Track der Platte kenne ich schon, Misery heißt er und wird aktuell gerade in der Sat.1-Werbung für die kommenden Blockbuster (!) verwurstet. Toll finde ich ihn trotzdem. Der quirligen, unverkennbaren und nasalen Stimme Adam Levines gelingt es, dass ich nachdem ich das Lied noch nicht einmal bis zu Ende gehört habe, schon fröhlich mit trällere. Irgendetwas ist aber dennoch anders als damals.
Was mir noch vor sechs Jahre nie in den Sinn gekommen wäre, eröffnet sich mir heute etwas klarer. Der immer dandyhafter werdende Look des Sängers Adam Levine und die sich auf dem Cover des Albums ekstatisch räkelnde Schönheit, umschlungen von nicht nur einer Hand, hätten mich schon darauf bringen können. Jetzt helfen mir meine Englischkenntnisse weiter. Wovon Levine singt, hätte ich niemals gewagt auszusprechen, ihm aber liegt es nur so auf der Zunge, denn wie gewohnt geht es um Amourösitäten, verzweifelte Liebschaften, umwerfende Frauengestalten und tölpelhafte Blindgänger, niemals enden wollende Affären und die ganz große Liebe – immer mit einer Prise Sex oben drauf. Allein Titelnamen wie Never Gonna Leave This Bed stehen eineindeutig für sich. Vielleicht bin ja nur ich erwachsener geworden?
Songs wie This Love, Harder To Breathe oder Sunday Morning ihres umwerfenden Debüts Songs About Jane vermisst man aber auf der neuen Platte der Los Angeleser. Weit und breit keine Spur von aus den Nähten platzendem Funk, innovativem Rhythm’n’Blues oder gutem altem Soul. Ich runzle etwas die Stirn, die guten alten Zeiten hatte ich mir anders vorgestellt. Nur der gewohnte Wischi-Waschi ihres zweiten Albums It Won’t Be Soon Before Long, um das schon kein großer Hehl mehr gemacht wurde. Erst als ich I Can’t Lie höre, kann ich etwas aufatmen. Der, und auch der Titelsong der Platte Hands All Over, der mit den klassischen, althergebrachten Rock-Riffs daher kommt, können mithalten und ziehen die adrett gekleidetn Hälse der Band aus der Schlinge. Auch Give A Little More überrascht mit dem von mir vermissten Funk. Alle anderen Songs scheinen dem Versuch verfallen zu sein, mit Lady Gaga, Katy Perry und Co. im Kampf um die ersten Ränge der Charts mithalten zu können.
Vom Hocker haut einen Hands All Over nicht, es sei denn man ist Fan der ersten Stunde und gewillt, bei dem sympathischen Quartett und dem Frauenhelden Levine ein Auge zuzudrücken, oder aber man fand (was ich zu bezweifeln wage) It Won’t Be Soon Before Long und seine Popambitionen ohnehin besser und ist von seinem Nachahmungstäter demnach umso eher angetan. Mit neuem Produzenten, Robert John „Mutt“ Lange nämlich, der schon ACDC oder Shania Twain unter seiner Fittiche hatte, und von Adam, Mickey, Jesse, James und Matt schon immer angetan war, wagen sie Neues, wärmen letztendlich aber nur Altbekanntes auf.
Um der alten Zeiten willen aber ist man dennoch im Zweifel. Darum sicher (gewagte Vermutung) die Deluxe Edition des Albums, die mit Akustikversionen von Misery und Never Gonna Leave This Bed und der Gänsehaut-Live-Version des Alicia Keys-Songs If I Ain’t Got You überzeugen soll. So machen die Jungs aus Los Angeles es einem dann doch schwer, sie nicht zu mögen.
If I Ain’t Got You, Maroon5 – es wäre eben nicht das selbe.
VÖ: Hands All Over erschien am 17.09 auf A&M/Octone Records.