Startseite » Nervous Nellie | 07.11.10 | Café Koeppen, Greifswald

Nervous Nellie | 07.11.10 | Café Koeppen, Greifswald

Die schwedischen Nervous Nellie begaben sich am vergangenen Sonntag zum Abschluss ihrer Tour durch Norddeutschland in ehemaliges schwedisches Hoheitsgebiet, nämlich nach Greifswald, um im Geburtshaus des renomierten Schriftstellers Wolfgang Koeppen ein Konzert zu spielen, dessen Rahmen intimer nicht hätte sein können.

Wo sonst Studenten ihren Kaffee genießen, haben die Organisatoren ein anspruchsvolles, bestuhltes Konzertauditorium errichtet. Vor roten Samtvorhängen erstreckt sich eine kleine Bühne, deren Raum das Quartett bis auf den letzen Zentimeter ausfüllt. In punkto Beleuchtung werfen kleine Leuchten, womöglich aus einem wohlbekannten schwedischen Einrichtungshaus, einen dezenten Schein. Die Gemütlichkeit hält Einzug, während es draußen bitterkalt ist und der Winter bereits angekommen zu sein scheint. Insofern verwundert es wenig, dass sich der ein oder andere Besucher vor Beginn des Konzerts ein Heißgetränk zwecks Aufwärmung gönnt.

Dann, als schließlich jeder Stuhl besetzt ist, erscheinen Nervous Nellie und nehmen auf der Bühne Platz, was angesichts der durch die Band verfochtenen Stilistik ein wenig befremdlich wirkt. Das jedoch ist auch tatsächlich das Einzige, was an diesem Abend auch nur ansatzweise befremdlich wirken soll. Die Band wirkt trotz der fortgeschrittenen Tour entspannt und spielfreudig. Sänger und Gitarrist Henrik Johnson gibt sich zudem äußerst gesprächig, sucht den verbalen Kontakt zum Publikum und erscheint bereits aufgrund seines gepflegt-gestuzten Vollbarts und seines blauen Sakkos wie ein Kulturschaffender, der im Café Koeppen definitiv den richtigen Anlaufpunkt gefunden hat. Die Band schleicht nahezu behutsam durch die ersten Songs, vorwiegend aus dem aktuellen Album „Why dawn is called mourning“.

Dann verschärft das Quartett das Tempo. Die Musik wird druckvoller, rhythmischer. Magnus Johnson, seines Zeichens Henriks Bruder und mit einem rasputinesquen Bart ausgestattet, krümt sich während seiner zahlreichen Piano-Parts über seinem Instrument und stampft dermaßen intensiv mit seinem Fuß den Rhytmus des Songs auf den Bühnenboden, dass zwischenzeitlich der Eindruck entsteht, diese spartanische Konstruktion könnte Schaden nehmen. Das zweite Brüderpaar, Andy Johansson am Schlagzeug und Sebastian Johansson am Bass, entsprechen dieser Intensität in vollen Zügen. Sänger Henrik verfällt fortwährend in höhere Stimmlagen, verlässt des Öfteren seine Komfortzone und vermag es, nicht zuletzt hierdurch, den Applaus nach den Stücken seitens des Publikums sukzessive anwachsen zu lassen. Nach kurzweiligen 25 Minuten endet das erste Set. „Ach ja, das sollten wir erwähnen: Wir kommen natürlich wieder, allerdings sind wir alle nicht mehr die Jüngsten. Ich muss meine Medikamente nehmen“, witzelt Henrik Johnson.

Diese unrealistische Selbsteinschätzung gestehen wir dem Musiker in diesem Sinne zu, kehrt seine Formation doch dermaßen fulminant zurück: „Homemade phone“ vom Debüt der Schweden ertönt. „Don’t waste your time on me tonight.“ Dieser Song geht weit über das Potential eines simplen Ohrwurm hinaus, dieses Stück verankert sich auf positive Art und Weise im Gedächtnis.

Der Geräuschpegel steigt, auch unter den einigen Besuchern, die sich teils lauthals unterhalten und kichern. Eine Gelegenheit für Johnson erneut seine Schlagfertigkeit unter Beweis zu stellen:“Vielleicht möchtet ihr das, was ihr euch gerade unter einader erzählt, mit der ganzen Klasse teilen.“ Und als dann immer noch keine Ruhe kehrt:“Hey, was ist so witzig, dass es nicht bis zur Pause warten kann?“ Der Mann steht zweifelsohne an der Spitze eines funktionierenden Kollektivs.

Auf ein elektrisierendes „Bee hive“ folgt ein getragenes „Goldmine“, das stereotypisch für den dahinfließenden, zweiten Langspieler des Quartetts „The ego and the id“ steht. Ohnehin schöpfen Nervous Nellie aus einem breiten Portfolio, dessen Inhalt sie live energisch und in höchstem Maße überzeugend abzurufen vermögen. Der Applaus wird stürmischer und erreicht seinen Höhepunkt, als die Schweden zum vorerst letzten Song ansetzen, um sich anschließend ihren Weg von der engen Empore zu bahnen.

Zur Zugabe hält es Magnus Johnson schließlich nicht mehr auf seinem Sitzplatz und das ist, in Anbetracht der Dringlichkeit der nachfolgenden zwei Songs, äußerst verständlich und zudem nicht weniger sympathisch. Ein neuer, akzentuierter Song geht mit der vorab unterbreiteten Ankündigung einher, dass die Band, unmittelbar nach ihrer Rückkehr in die Heimat, mit den Arbeiten an einem neuen Album begänne. Trotz des anscheinend bereits ausgereiften neuen Materials beschließt die mit „Million Dollars“, gewissermaßen einem Klassiker vom ersten Album, einen in allen Belangen lohnenswerten Abend, denn zu einer zweiten Zugabe kann das minutenlang begeistert applaudierende Publikum die Schweden nicht mehr bewegen. „Keep them hungry!“, meint die Band. Wir meinen, Mission erfüllt!

Wir freuen uns über deinen Kommentar: