Wiener Liedermachter trifft isländischen Multiinstrumentalisten – so beginnt die Geschichte der Band Oehl. Mit dem Debüt „Über Nacht“ (VÖ: 24.01.2020 via Grönland Records) schlägt das Duo ein neues Kapitel auf, das bisher erschienene deutsche Musik etwas in den Schatten stellt.
Liegt der Tag in den Händen eines großen Fremden
In seinem Schlummern er ihn hält
Wie sollen wir denn bloß diese Keramik wenden
Dass sie nicht in zwei zerfällt
Monatelang schon geistert die Musik von Oehl durch meinen Kopf – besonders der Song „Keramik“ lässt mich nicht los. Immer wieder und jedes Mal auf ein Neues zieht mich der literarische Schwermut in den Bann, während über dem Song doch eine gewisse musikalische Leichtigkeit liegt. Ich belese mich und lerne, dass Oehl seit 2016 der Wiener Liedermacher Ariel Oehl und der isländische Multiinstrumentalist Hjörtur Hjörleifsson sind. Nordische Melancholie trifft Neue Wiener Romantik – für mich hat das etwas Ganzheitliches. Dieser Eindruck bestätigt sich mit dem jüngst veröffentlichten Debüt-Album „Über Nacht“, das am 23. Januar 2020 via Grönland Records erschien.
Man wollte glaube, in der Musik sei die deutsche Sprache entweder knöchern, starr und behäbig oder platt, repetetiv und austauschbar. Dann traten Oehl auf den Plan: Ihre Texte sind keine platte Poesie, sondern bleiben stehen, wenn man ein zweites Mal hinhört. Es geht um die Facetten von Liebe und Tod wie das Vatersein („Keramik“), die Suche nach dem Sinn („Tausend Formen“) oder Trauer („Übernacht“). Die Abgeklärtheit, die man in der Stimme von Ariel Oehl vermutet, ist die Wiener Eleganz, die man erwartet, und ernst gemeinte Melancholie, wenn es so etwas geben kann.
Getragen wird diese ganz eigene Stimmung von der ebenso eigenen Instrumentalistik. Hjörtur Hjörleifsson doppelt Melodien mit Bass und Gitarre, was die Songs an Tiefe gewinnen lässt. Oft setzt er Synths, Samples und Flächen („Wolken“) oder meltmusikalischen Elemente wie isländischen Gesang („Fluchtpunkte“) ein. Als Produzenten konnten Oehl Marco Kleebauer, bekannt als eine Hälfte von Leyya und Bilderbuch-Produzent, gewinnen, der zweifelsohne seins dazutut.
Oehl spielt mit Zwischentönen – im musikalischen wie textlichen Sinn – die einen bezirzen, in den Bann ziehen und einhüllen. Mit „Über Nacht“ enstand eine Platte, die ohne viel Aufhebens mit Musik, Kunst und Literatur spielt und dadurch anders klingt als alles, was wir bisher gehört haben. Herbert Grönemeyer sagt über Oehl sie seien „eigenständig, klug und künstlerisch besonders“ und liegt damit zweifelsohne goldrichtig. Die Worte von Oehl selbst treffen es aber besser: “Wo ich hin will, fährt keine Bahn – da treibt nur der Wahn zu dir”.
VÖ: Oehl - "Über Nacht" erschien am 24. Januar 2020 via Grönland Records.