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Selig – Und endlich unendlich

selig_und-endlich-unendlichEndlich – kein Wort könnte besser passen. Nach der längsten Zigarettenpause der Welt, ungewissem Hoffen und sehnsüchtigem Warten, haben Selig ganz programmatisch mit „Und endlich unendlich“ ein bisschen die „Chinese Democracy“ für Freunde deutschsprachiger Rockmusik aufgenommen und malen wieder Schatten an jede Wand.. In diesem Fall wird die Geduld wenigstens durch jede Sekunde entschädigt.

Die ersten Konzerte ihrer aktuellen Clubtour sprechen eine eindeutige Sprache. Die fünf neuen Stücke im Live-Programm von Selig wurden vom Publikum fast genauso frenetisch gefeiert (und wenige Tage nach der offiziellen Release Wort für Wort mitgesungen) wie die fünfzehn beinahe schon ‚Klassiker‘, die über die Jahre scheinbar nur noch mehr reiften statt in Vergessenheit zu geraten. Die Fans der alten Stunde und alle, die auf dem Weg bis zum unverhofften vierten Album der Band dazugestoßen sind, empfangen Selig mit offenen Armen. Songtitel wie „Ich fall in deine Arme“ und „Wir werden uns wieder sehen“ tragen nur noch mehr zur Wiedersehensfreude bei.

Beim ersten Hören vereinen sich Glück, dass die Band zu ihren Wurzlen zurück gekehrt ist und ein kleines bisschen Enttäuschung, dass es den neuen Stücken ein wenig an der charakteristischen Wucht fehlt, die die Perlen der frühen Alben auszeichnete. Doch die Zündung kommt spätestens, wenn sich alle Selig-Elemente vereinen. Die drahtige Gitarre des grandios virtuosen Christian Neander in Kombination mit den warmen Orgeltönen von Malte Neumann, dem präzisen Schlagwerk Stoppel Eggerts, Leo Schmidthals treibenden, pointierten Bassläufen und Jan Plewkas unverwechselbarer Stimme, die krächzt und säuselt

„Und endlich unendlich“ knüpft teilweise direkt da an, wo „Hier“ 1996 aufhörte und das Trennungs-Album „Blender“ 1998 leider nicht weiter ging. Das zart gehauchte „Ich bin so gefährdet“ etwa erinnert atmosphärisch stark an „Morgen“ vom zweiten Album. „Lang lebe die Nacht“ klingt angenehm verspielt und warm und auch die übrigen Stücke sind von einer Versöhnlichkeit geprägt, die man den Musikern live jede Sekunde im Gesicht ablesen kann.

Zwar klingt es, als hätte es den elektronisch experimentierfreudigen „Blender“ nie gegeben, aber so ganz ohne Spuren sind die letzten Jahre und verschiedenen Projekte der fünf Selig-Mitglieder nicht an der Band vorbeigegangen. Und so kann man trotz der Vertrautheit und der Rückbesinnung auf die eigenen Stärken nicht von Stillstand reden. Die Arrangements der Stücke scheinen geradliniger, auf modernen Schnickschnack wird dankenswerterweise verzichtet. Die neuen Stücke klingen frisch und zeitlos, vielschichtig und decken das Spektrum zwischen kernigem Rock, groovendem Blues und detaillierten Balladen wie dem Abschließenden „Traumfenster“ gekonnt ab, ohne in Standrads zu verfallen.

Auch Plewkas Gesang wirkt trotz einzigartiger Bildsprache direkter, fleht wie er es am besten kann in „Ich dachte schon“ und koketiert höchst selbstreferentiell zum Beispiel in der schnell gesprochene Abrechnung „Die alte Zeit zurück“:

Hast du nicht damals am lautesten geschrien: Lass uns raus hier und die Welt sehen!

Und all die Bands, die du gegründet hast. Was wurde aus denen?

Auch wenn von Transformation („Auf dem Weg zur Ruhe“), Fehlern („Immer wieder“) oder „Wir werden uns wiedersehen“ die Rede ist, sind Plewkas Zeilen nur zu gut übertragbar auf die Bandgeschichte und die eigene Glückseligkeit, sich wieder zusammengefunden zu haben. Möge die noch lange anhalten und Seligs Weg in die Unsterblichkeit auf noch ein paar Alben hinauszögern.

Selig waren in den frühen Neunzigern neben dem schrammelig verkopften Hamburger Schule-Gedöns ihrer Kollegen immer die Psychelic-Grunge-Rocker mit den vielmehr poetischen statt plakativen Texten. Und die mit dem größten Erfolg (man denke nur an die ausschlagende Statistik im Video zu „Was hat dich bloß so ruiniert?“ von Die Sterne), der natürlich auch viele Neider und Missgünstlinge mit sich brachte.

Wer Selig damals schon gehasst hat, wird ihnen wahrscheinlich auch jetzt noch nichts abgewinnen können. Wird sie als pathetisch und belanglos abtun, wer die Band bisher nicht kannte, könnte mit „Und endlich unendlich“ die Einstiegsdroge in leicht psychedelisch angehauchte, geradlinig melodiöse und verdammt gut gemachte Rockmusik mit deutschen Texten jenseits weinerlichem Befindlichkeitssprech finden.

„Und endlich unendlich“ erschien am 20. März 2009 bei Universal

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