Was für eine Woche! Wir blicken auf fünf Tage Reeperbahn Festival 2019 zurück – mit Neuentdeckungen, Überraschungen und alten Bekannten.
Mit dem Reeperbahn Festival Train zum 14. Reeperbahn Festival 2019
Für uns startete das Reeperbahn Festival 2019 bereits am Dienstagabend, als wir den IRE 4272 nach Hamburg bestiegen. Das war allerdings kein gewöhnlicher Zug, sondern der vom buero doering organisierte Reeperbahn Festival Train – mit Künstlern und Künstlerinnen, die in drei, vom restlichen Zug abgeschlossenen Abteilen Showcases spielten. Zusammen mit dem DIV Magazin und cdbaby organisierte das buero doering neun Acts, darunter Ian Late, Jeannel, Boxx und Amistat. Es gibt wirklich keine bessere Art zum Reeperbahn Festival zu reisen und drei Stunden Zugfahrt hinter sich zu bringen als mit Gleichgesinnten bei Falafel und isländischem Bier, während man von Wagon zu Wagon wandert und neue Musik entdeckt. Hier stimmt uns die freundliche Zugbegleitung, die schon das zweite Mal die Schirmherrschaft im Reeperbahn Festival Train hat, sicherlich zu: Die beste Einstimmung auf die anstehenden vier Tage Reeperbahn!
Mittwoch, 18.09.2019 – Hereinspaziert, hereinspaziert!
Für den Start in das Reeperbahn Festival hatten wir uns Plätze für die DOORS OPEN Show im Stage Operettenhaus gesichert. Die Einführungsveranstaltung stimmte mit Eröffnungsreden auf vier Tage Reeperbahn Festival 2019 ein, stellte die Nominierten für den Anchor International Music Award 2019 und das Fokusland Australien vor. Dafür luden die Moderatoren Charlotte Roche und Ray Cokes auch Vertreter der Anchor Jury – Peaches, Kate Nash, Zan Rowe und Arnim Teutoburg-Weiß – auf die Bühne. Außerdem die Keychange-Botschafterin Joy Denalane, die – wie anschließend Feist und Dope Lemon – einen Song zum Besten gab. Insgesamt eine etwas langwierige Angelegenheit – gerade der sich inhaltlich wiederholenden Eröffnungsreden wegen -, die man besser in den Clubs und Bars auf der Reeperbahn verbracht hätte.
Trotzdem blieben wir und sahen uns noch die Konzerte von Dope Lemon und Feist in voller Länge an. Auch wenn sich für das Dope Lemon eine kleinere, gemütlichere, vielleicht dreckigere Venue besser geeignet hätte, war das Slacker-Projekt von Angus Stone eine angenehme Überraschung. Live ein bisschen so, als hätte man Black Rebel Motorcycle-Club-Sänger Peter Hayes gegen Angus Stone und einen sehr passionierten Mundharmonika-Spieler ausgetauscht. Danach, nicht weniger smooth, aber etwas langweilig Leslie Feist mit fünfköpfiger Verstärkung an Keyboard, Klavier, Gitarren und Saxofon.
Nach all dem Sitzen im Stage Operettenhaus verbrachten wir bei Roast Apple den denkbar besten Tagesabschluss: Vier sweete Boys, die so energiegeladen wie Two Door Cinema Club in jungen Jahren den Sommersalon auf den Kopf stellen. Unbedingt hörenswert!
Donnerstag, 19.09.2019 – Die große Hafenrundfahrt
Nicht, dass wir es nötig gehabt hätten, aber der Donnerstag begann mit einer Hangover Cruise. Zwei Stunden Hafenrundfahrt auf der MS Klein Fritzchen mit Margarithas, mexikanischem Fast Food und Electrolyten-Drinks im praktischen Brustbeutel – sponsored by Eventbrite und Filtr Music. Klingt schon ziemlich perfekt, wurde aber noch besser, denn was wäre eine Elb-Rundfahrt auf dem Reeperbahn Festival ohne Musik? Bevor Sean Koch und die bayerische Rap-Kombo dicht und ergreifend den Hamburger Hafen beschallten, sorgten die italienischen Brüder Amistat für Gänsehaut-Momente. Besonderes Highlight war die Cover-Version von Lewis Capaldis „Someone You Loved“. Denkt es euch mindestens drei Mal so schön wie die YouTube-Version, mit Sonne und Hafenluft.
Etwas später sahen wir auf der Spielbude Say Sue Mue – ein Indie-Quartett aus Südkorea. Die Vier schreiben Songs über Unentschlossenheiten, Einsamkeiten und Alkohol, ganz viel Alkohol. Dabei versetzen sie die 200 Menschen, die die Spielbude betreten dürfen, mit ihren Indiesounds in die 90er Jahre zurück.
Das nächste Highlight sind Say Yes Dog im Übel & Gefährlich. Das Trio macht sehr tanzbaren, sehr eingängigen Electro-Pop, der durch die trübselige Stimmlage des Sängers immer etwas Bittersüßes hat. Etwas davon mussten sie allerdings durch die Location einbüßen, denn für die schwelgerische, melancholische Musik von Say Yes Dog hätte es ein kleiner Club noch besser getan. Währenddessen stellt – passenderweise – auf einer Kiosk-Bude Felix Brummer den Reeperbahn-Besuchern sein neues Projekt Kummer vor. Passenderweise, weil sein erstes Soloalbum „KIOX“ heißen, am 11. Oktober 2019 erscheinen und ausschließlich in dem extra entstandenen Plattenladen „KIOX“ in Chemnitz zu kaufen sein wird.
„Bläserattacken, Funkgrooves, jazzige Saxofone kommen hier wie aus dem Effeff gespielt, professionell und präzise“ – mit diesem Text lockt uns die Reeperbahn Festival-App zu Jungle By Night. Es geht in den Mojo-Club, einem ehemaligen Bowling-Club am östlichen Ende der Reeperbahn, der in den 90er Jahren die Clubreihen „Electric Mojo“ und „Dancefloor Jazz“ etablierte. Für die neunköpfige Kombo Jungle By Night, die die klassischen Grooves des afrikanischen Pop der 60er und 70er Jahre weiterdenken, der perfekte Ort, an dem sie auf den zwei Etagen des Mojo-Club alles und jeden mitreißen! Man merke an: Ohne Gesang, „nur“ mit Saxophon, Trompete, Posaune, Percussions, Drums, Keyboard, Gitarre und einer unglaubliche n Energie!
Übrigens hätte uns am Donnerstagabend noch ein weiteres Highlight erwartet: die Foals. Da sich Sänger Yannis Philippakis aber den Arm gebrochen hatte, musste die Band das Reeperbahn Festival absagen und für die alljährliche Warner Music Night ein Ersatz gefunden werden. Dass Warner Bausa auf die Bühne des Docks stellte, kann wirklich nur dem Zeitdruck geschuldet sein, unter dem das Label einen Ersatz finden musste.
Freitag, 20.09.2019 – Neue Entdeckung und alte Bekannte
Der Tag beginnt mit dem BIMM Showcase auf der Spielbude. Zur Feier der Eröffnung des British and Irish Music Instituts in Hamburg spielen Alumini des Musikinstituts: The Flavians, MIN t, Evvol und Ed Prosek. Letzteren lassen wir uns natürlich nicht entgehen und schummeln die Neuigkeiten über seinen neuen Song „Killing Me“ ein.
Während Deichkind auf dem Parkplatz vor dem Millerntor-Stadion einen Überraschungsgig spielen und ihr neues Album „Wer Sagt Denn Das?“ promoten, sind wir im Imperial Theater und haben damit die beste Entscheidung des gesamten Reeperbahn Festivals getroffen. Denn Feng Suave sind das Beste, was wir seit Langem gehört haben! Der Psycho-Pop der beiden übersympathischen Amsterdamer ist zum Dahinschmelzen: Die soulige Gesangstimme und die äthernden Basslinien schaffen eine Zeitreise in die 60er und 70er Jahre, in der Musik aus sich selbst heraus für Bewusstseinsveränderungen sorgen konnte. Obwohl uns Arnim von Teutoburg-Weiss nach dem einen vielsagenden Blick zuwirft, gewinnen nicht Feng Suave, sondern die Ukrainische Rapperin Alyona Alyona den Anchor Award 2019!
Übertrumpfen konnten Feng Suave nur die Mighty Oaks, die später in der St. Michaeliskirche auftraten. Bis auf eine Ausnahme, erweist das Reeperbahn Festival besonderes Gespür für Locations, denn es gibt kaum ein besseres Ambieten für die Songs der Mighty Oaks und die Stimme des Sänger Ians als eine Kirche. Wie vor zwei Jahren, als Charlie Cunningham den Michel bespielte, ist auch der Auftritt der Mighty Oaks das optisch und akustisch nicht zu überbietende Highlight des Reeperbahn Festivals 2019!
Samstag, 21.09.2019 – Imposantes Ende
Langsam etwas müde in den Knochen, standen am Samstag einige Panels auf dem Plan. Immerhin ist das Reeperbahn Festival nicht nur Festival, sondern auch Plattform für Diskurse, Diskussionen und Austausch. In diesem Jahr ging es um unter anderem um den Wandel des Medienkonsums. Passend dazu besuchten wir Panels, die die vielfältigen (Um-)Wege in die Musikindustrie aufzeigten, die Bedeutung von Musikverlagen und die Rolle der Frau in der Musikproduktion hinterfragten.
Nach dem intellektuellen Input sehen wir Sparkling auf der Spielbude und Together Pangea im Molotow, bis es schließlich in die Große Freiheit zu The Gardener and The Tree geht. Obwohl die Indie-Folk-Band schon 2014 als Streaming-Act in der Schweiz bekannt und mit dem Swiss Music Award als bester Live-Act gekürt wurde, bekamen wir in Deutschland erst relativ spät Wind von den fünf Schweizern. Vielleicht trügt der Eindruck auch, denn die Große Freiheit ist bis auf den letzten Meter gefüllt – und Sänger Manuel Felder weiß sie mit seiner unverwechselbaren, kraftvollen Stimme auch zu füllen. Für Fans von The Augustines, gut gemachtem Indie-Folk und Lagerfeuer-Romantik!
Während Efterklang in der schon vorab bis auf den letzten Zentimeter ausgebuchten Elbphilarmonie spielen, finden wir uns für einen nicht weniger beeindruckenden Künstler im Docks ein: Dermot Kennedy. Wer denkt, der irische Singer-Songwriter könne dem aktuellen Hype um seine Person kaum gerecht werden, wird sofort eines Besseren belehrt. Dermot Kennedy ist eine Ausnahmetalent! Hip-Hop-Beats, Streicher und Elektro-Sounds, Texte über Liebe und Verlust, Trauer und Euphorie und dazwischen die dunkel-samtige, krasse Stimme des ehemaligen Straßenmusikers. Krass, es gibt wirklich kein anderes Wort für dieses Reeperbahn Festival-Outro!
Vier Tage Reeperbahn Festival 2019 – ein Fazit
Das Reeperbahn Festival 2019 war ein Fest – mit alten Bekannten, neuen Entdeckungen und unerwarteten Überraschungen! Übermüdet, aber überglücklich fährt man – auf dem Rückweg wieder mit dem Fortbewegungsmittel seiner Wahl – nach Hause und ist nur etwas traurig, nicht noch mehr Acts gesehen zu haben. Das gehört zu einem Festival dazu – wer hat schon jemals alle Acts gesehen, die er sehen wollte? Das Reeperbahn Festival macht es einem eigentlich leicht: Man läuft die Reeperbahn hoch und runter, lässt sich in die verschiedenen Clubs und Bars in den Seitenstraßen ziehen und hat die besten Chancen, neue Bands zu entdecken – fernab von Foals, Mando Diao, Feist & Co.
Ganz so ist es dann aber doch nicht: Ohne Pressebändchen um den Hals, mit dem man (schuldbewusst) an den übrigen Festivalbesuchern vorbeihuscht, hätten wir einige der Bands vielleicht gar nicht sehen können. Immer wieder meldet die Festival-App Einlassstops. Die multiinstrumentale Video-Show von Olafur Arnalds im Planetarium ist an allen Festivaltagen ausgebucht und für Efterklang in der Elphi gibt es bereits viele Tage vor dem Festival kein Kontingent mehr. Reiht man sich nicht rechtzeitig in die Schlangen vor den Locations oder kümmert sich nicht schon Tage vorher um den Einlass, entgeht einem doch so einiges auf dem Reeperbahn Festival. Wir aber hatten das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein und planen das RBF 2020 eben etwas früher!
Hier noch ein paar Eindrücke vom Reeperbahn Festival 2019:
Mehr Eindrücke gibt’s auch auf Instagram (@mainstage_mag).
Titelbild und Reeperbahn Festival Train: Jim Kroft/buero doering