Was kann es Schöneres geben: Seit langem wieder einmal strahlend blauer Himmel und Sonnenschein in Leipzig. Und dazu diese neue Scheibe! Unglaublich. Mit „Rules„, dem zweiten Album der Mannen von The Whitest Boy Alive, liegt die erste Sommerplatte dieses Jahres vor.
The Whitest Boy Alive spielen auf „Rules“ nicht mehr nach innen gekehrt, sie treten in Beziehung zum Außen. Was beim Vorgänger „Dreams“ als introvertiertes Träumen erschien, will sich hier scheinbar exponieren, wird erhellt. Gleichwohl erinnert Vieles an das Debüt: Gitarrensaiten werden weiterhin vorwiegend einzeln angeschlagen, das Schlagzeug hält sich dezent zurück und Erlend Øyes Gesang versetzt die Hörerin / den Hörer genauso in melancholisches Schmachten.
Der augenfälligste Unterschied aber ist wohl die stärkere Präsenz der Rhodes-Sounds Daniel Nentwigs. Dieser Sound prägt den Gesamteindruck der Platte ungemein. Die Melodien werden im Gesamten etwas elektronischer, lockerer, oftmals auch fröhlicher. Songs wie „Done With You“ oder das gemütlich lethargische „All Ears“ finden auf dieser Platte nicht mehr statt. „Rules“ ist – wenn auch ebenso minimalistisch wie dereinst – funkig und durchgängig tanzbar. Eben das macht das zweite Album zu einer so berauschenden Sommerplatte, die dabei dennoch auf ausgelassenen Festcharakter verzichtet und nicht an ein kollektives Gefühl appeliert.
Highlight dieser „Melancholic-Disco„-Platte, wie sie Yoko Rückerl im Tagesspiegel bezeichnet, ist unweigerlich der hitverdächtige Acid-House-Song „Courage„, wo man schmunzelnd am Songende meinen könnte, die Einflüsse der Mannen und Frauen von Audiolith habe sich auch bereits bei The Whitest Boy Alive niedergeschlagen: Dort wagt man nämlich quasi eine kurze minimalistische Rave-Einlage. Das nachfolgende „Timebomb“ steht wohl noch am ehesten in seiner Zurückhaltung und überwiegenenden Instrumental-Parts im Zeichen des Debüts – und ist für mich ohne weiteres eine Perle dieser Platte. Bei „Gravity“ fiel der Gedanke zunächst sofort an den jüngst von The Notwist veröffentlichten gleichnamigen Song. Doch zeigt sich bei The Whitest Boy Alive schnell eine andere, trivalere Intension:
You only want to be with her because she’s mine
You will lose me as a friend if you cross that line
She’s the gravity my life circles around
She’s the gravity my life circles around
Es beibt zu fragen, ob der Platte bei aller Gelassenheit und allen schwingenden Tanzbeinen etwas an Tiefe abgeht. Es bleibt dieses Gefühl, dass sich bei „Rules“ um einen nicht so nachhaltige Eindruck handelt, sich keine intensive Beziehung zu den Liedern aufbauen wird, wie es bei „Dreams“ vielleicht der Fall war. Die Zeit wird es zeigen.
(Trotz aller erwähnten Fröhlichkeit bleiben die Texte natürlich melancholisch, verleihen einer durch sie aufscheinenden fragilen Gemütshaltung Worte. Wenn Marta Marszeski deshalb auf motor.de schreibt „The Whitest Boy Alive haben mit „Rules“ den labilen Gemütszustand ihrer Generation eingefangen, um aus dem beklemmenden Gefühl der Ausweglosigkeit eine berauschende Party zu machen„, pathetisiert sie gewiss ein wenig. Was und wer ist hier die Generation der Band? Zu fragen bliebe auch, ob solche Begriffe wie der einer homogen erscheinenden Generation im postmodernen Kontext noch tragfähig sind. Und selbst, wenn man diese Setzungen mitträgt, so ist die Annahme doch weit verfehlt, der „labile Gemütszustand“ sei gegenwärtig der die Mehrheit prägende.)
„Rules“ erschien am 27. Februar 2009.