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Tocotronic – Kapitulation Live

kaplive.jpgWenn man am 17.Oktober des Jahres 2007 nach einer durchgemachten Nacht auf dem Hamburger Kampnagel Bekannte wiedertraf, die einen fragten, wie denn das Tocotronic-Konzert am Abend zuvor gewesen sei, dann tat es einem fast leid, dass man keine Worte dafür fand. Eine Band, die erst auf der Bühne ihre volle Kraft entfaltet ist aber einfach schwer gerecht in Worte zu verpacken. Nun verbeugt man sich dankend vor der Band, dass diese das Konzert in wunderbarer Aufnahmequalität auf Platte herausbrachten. Diese kann man jetzt, 3 Monate später, nämlich nun endlich den Bekannten in die Hand drücken und sagen: „Hier, hör mal, Kapitulation live, um deine Frage von vor 3 Monaten endlich zu beantworten.“

Kapitulation Live“ ist das erste amtliche Live-Album der Band, nachdem vergangenes Jahr auf dem Re-Release von „Nach der verlorenen Zeit“ schon die Karmers Tapes-Aufnahmen zu hören waren. Aber die Kapitulation Live- Aufnahmen sind schon allein deswegen besonders, weil es sich um ein Heimspiel handelt. Die Band fand sich 1993 in Hamburg zusammen und nimmt 14 Jahre später auch ihr erstes Live-Album dort auf. Alte Liebe rostet nicht! Und getreu diesem Motto ließen sie auch dieses Album von Moses Schneider aufnehmen, der sich schon mit den Aufnahmen der Studio-Kapitulation beschäftigte. Als Bonus-Track ist „Wehrlos“ vorzufinden, eine Aufnahme vom Soundcheck vor dem Konzert, der Sänger ganz allein an der Gitarre, sich auf den großen Abend in der großen Halle K6 des Kampnagel vorbereitend. Innerhalb von 3.30Min ist dann auch schon die Nacht hereingebrochen. Und Fakt ist: Die Songs der Kapitulation kommen live nochmals energetischer rüber, als sie es ohnehin schon sind.

Begrüßt wird man mit „Mein Ruin“, welches auch Opener der Platte ist. Während im Song von Wellen gesungen wird, die eine tragen, nimmt der geneigte Zuhörer die Musik als eine solche auf und lässt sich treiben, während die Band auf der Bühne Blut, Schweiß und Tränen vergießt, ganz im Sinne der Rockmusik. Ohne Pause geht es in den zweiten Song über. „Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen“. Der Klassiker auf Tocotronic-Konzerten, ruft zeitgleich Gefühle von Nähe und Ferne hervor und man hört das Publikum mitsingen, Stimmen, die sagen wollen, „wir auch mit euch“. Denn man glaubt nicht daran, dass man jetzt nochmal umkehren kann. Als dritter Song präsentiert sich „Sie wollen uns erzählen“ aus dem Jahre 1997, durch Rick McPhail an der zweiten Gitarre, in einem komplett neuem Gewand. Die Mundharmonikatöne der 90er-Version wurden auf der Gitarre umgesetzt, Dirk von Lowtzow singt dazu voller Herzblut von dem Unverständnis für die Kontrollgesellschaft. Allgemein merkt man bei diesen Aufnahmen nochmal sehr deutlich, was Rick der Band bringt, welche Wunderdinge er an der Gitarre zu schaffen vermag. Aber auch Arne Zank und Jan Müller vollbringen, wie man es gewohnt ist, ihre Arbeit. Von 1997 folgt ein Sprung ins Jahr 2007, der Song über den Krieg gegen sich selbst, „Verschwör dich gegen dich“, ertönt in den Hallen des Kampnagel und der Zuhörer lächelt gedankenverloren, man braucht schließlich nicht mehr sagen müssen, was man denkt, man sieht es dem Publikum ohnehin an, diese Band wird geliebt! Nach dem protestigen „Aber hier leben, nein danke“ aus dem Jahre 2005 werden die Songs der Kapitulation durchlaufen: Luft, Kapitulation, Aus meiner Festung und Imitationen. Dann: Stille. Bis Dirk von Lowtzow diese mit einem herausgebrüllten „I would prefer not to!“ nach Bartleby durchbricht, dass man direkt Lust hat, mit ihm auf die Barrikaden zu gehen. Es folgt ohne zu zögern „Sag alles ab„, live nochmal ein Stück schneller als auf Platte. Ja, sowas geht! Wer nach dem Lied noch stehen konnte, durfte sich an „Explosion“ erfreuen. Von vielen als der Geheimtipp des Albums gehandelt, aber auf jeden Fall das Live-Lied schlechthin. Von deliriumsartiger Stille schaukelt sich der Song hoch. Wird immer schneller.

Alles gehört dir, eine Welt aus Papier, alles explodiert, kein Wille triumphiert.

Als man es wieder wagt, die Augen aufzumachen, ist die Band von der Bühne verschwunden, Rauchschwaden sind das, was einem bleibt. Da die Tocotronen ihr Publikum so aber nicht zurücklassen mögen, kommen sie zurück auf die Bühne. Die Songtitel, die während des Konzertverlaufs schon öfters vom Publikum gefordert wurden, werden jetzt endlich, und das fast ohne Pause, hingedonnert. „Jackpot und „Drüben auf dem Hügel“ sorgen dafür, dass fast alle „Oldschool“-Hörer zufriedengestellt sind. Doch, Moment, eine Sache fehlt da doch noch? Die Band kommt noch einmal auf die Bühne und präsentiert „Freiburg„. Der Song, auf der Platte aus dem Jahre 1994 grad mal 2:30Min lang, wird hier auf 9 Minuten ausgedehnt. Und wer noch nicht komplett eingenommen ist von diesen Tönen, wird es spätestens dann sein, wenn Dirk von Lowtzow unter den Feedbackorgien seiner Bandkollegen repetetiv den Satz „Music is the healing force of the universe“ herausjault. Die Musiker gehen bis ans Letzte und verlassen wortlos die Bühne. Auf der gigantischen Leinwand des Kampnagel, die man auf dem Cover des Albums wirklich nur erahnen kann, erscheint in großen Buchstaben das Wort „Kapitulation„. Und das Publikum bleibt voller Emotionen zurück, während Ingrid Cavens Lied „Die großen weißen Vögel“ abgespielt wird. Dort heißt es allzu passend:

Weit draußen auf dem blauen Meer
erklingt ein Lied von Wiederkehr,
ein Lied vom Leben.

Dieses Live-Album ist wirklich die perfekte Erinnerung für alle, die dem Konzert beiwohnten. Und ein wunderschöner Eindruck für all die, die das verpasst haben.

Im Handel seit: 11.01.2008

3 comments

  1. Niclas says:

    Also ich fand das Konzert jetzt nicht so gottesgleich… Aber anscheinend könnten Tocotronic auch den langweiligsten, belanglosigsten, musikalisch uninspirierten Mist schreiben und man würde es dennoch lieben.

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