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Travis – Ode to J. Smith

Die ewig braven Jungs von Travis haben mal wieder versprochen den Rock in ihre sonst so melancholiebeladene Folk-Pop-Welt einkehren zu lassen. Das die perfekten Schwiegersohnabziehbilder diesmal ernst machen würden, konnte kaum jemand ahnen. Aber Moment! Hat Herr Healy seiner Kehle da gerade wirklich einen Schrei entlockt und kreischen da wirklich gerade Gitarren auf? Auf Ode to J. Smith riecht es nach Experimenten. Oder sind das doch nur Kompromisse?

Es ist ja nicht so, als seien die letzten Platten von Travis völlig unbedeutend gewesen. Im Gegenteil, mit Poesiebuchtexten und einigen Hits reisten Travis um die ganze Welt und haben sich über die Jahre sicher in die Herzen vieler Menschen gespielt. Ein Evergreen wie Why does it always rain on me wird ausserdem wohl ewig strahlen. Dennoch fehlte oftmals der gewisse Biss und man sah etwas gegen die Weichspülerattitude an , die ab und an einen seltsamen Beigeschmack hinterließ.Das betraf besonders, bei aller musikalischer Schönheit, die letzten Alben 12 Memories und The Boy with no Name. „Die sollen mal die Eier auf den Tisch legen und fertig!“, bemerkte neulich ein Freund und Travis müssen wohl ähnlich gedacht haben.

Die Bandmitglieder sind etwas in die Jahre gekommen, Fran Healys Bart zeigt dementsprechend leichte Ansätze von grau und plötzlich ist alles ausgerichtet auf Atmosphäre, Rock und Experimentierfreude. Glaubt man zumindest. Aber dazu gleich.

Chinese Blues ist ein Opener mit rauchiger Atmosphäre und Groove. Ein makelloser Einstieg. J. Smith, der raue Titelsong, hat rockige Gitarren und Healy packt zum ersten Mal eine Portion Aggression in sein Organ. Dann die Überraschung: Ein ausladender Chor und fertig ist ein neuer Travis-Hit. Auch der Ansatz der Lyriks ist neu gewählt worden. Wo Healy bisher meistens sein eigenes Menschsein in den Texten reflektiert hat, schreibt er nun über J. Smith. Dieser soll in den Vereinigen Statten gelebt und mit den Gedanken gerungen haben, sich selbst das Leben zu nehmen. Einige Überlegungen später rückte besagter J.Smith von diesen Vorhaben ab und verunglückte kurz darauf auf tragische Weise. Damit bekommt die neue Travis CD ein Gesicht und eine Geschichte.
Der nächste Song (Something Anything) schlägt dann in eine ähnliche Kerbe wie seine Vorgänger, ohne den Pop aus den Augen zu lassen. So ein Gitarrensolo hat man Travis nicht zugetraut und ist so explosiv, dass man nicht mehr aufhören möchte zu grinsen. Long Way Down rumpelt ebenso angenehm aus den Boxen und es gefällt wie Healy seine Stimme im neuen Rockklangkosmos einbettet und seinem sonst so sanften Organ ein Schrei entgleitet, dass es einem eine Wonne ist Travis neu für sich entdecken zu dürfen. Broken Mirror beginnt dann etwas zurückhaltender und gibt sich zahm, vollendet so aber den Spannungsbogen den die vorangegangenen Songs beschrieben haben.

In Track sechs erklingt dann das von Travis altbekannte Banjo. Ohne Frage ein wunderbares Instrument,
dass sich stets wunderbar in den Travis Sound gefügt hat, aber gleichzeitig daher kommt wie ein Relikt aus alten Zeiten. Und Tatsächlich, die Stimmung des Albums kippt mit diesem Stück. Wo die Songs gerade noch am Brodeln waren und man vermutete, dass es in den Musikern nach einiger Kritik zum letzten Album nicht anders aussah, wird das dreckige Rockgewand plötzlich abgelegt und gegen ein wesentlich sauberes eingetauscht.
Die zweite Hälfte von Ode to J. Smith klingt wie die alten Travis, was beileibe nicht schlecht ist, aber das Material im Vergleich zur ersten Hälfte des Albums total verblassen lässt. Keine Experimente mehr, keine überdrehende Stimme, keine dreckige Gitarre, die einem ins Trommelfell grätscht. Alles in allem: Es sind Songs die auf die letzten zwei Platten gepasst hätten, auch wenn sie eine düstere Atmosphäre inne haben und gerade zum Albumende hin nochmal sehr atmosphärisch sind. Jetzt wo man weiß was geschieht wenn Travis ihre Energie freisetzen, will man einfach mehr davon und keine weiteren Songs für Kamin und Rotweinabende im Herbst.

Ist das ein Kompromiss?
Die Gradwanderung Erwartungshaltung zu erfüllen und seiner bisherigen Karriere treu zu bleiben?

Ode to J. Smith sollte man aufgrund seiner ersten Hälfte definitiv sein eigen nennen, denn die Songs sind groß, voller Ideen, neuer Elemente und Melodien. Hätten sie noch weitere fünf Songs auf diesem Niveau geschrieben, hätte Ode to J. Smith das Zeug zu einem neuen großen Wurf.

Hoffentlich haben Travis auf der Bühne so viel Gefallen an ihrem neuen, rockigen Material, dass der nächste Anlauf noch mutiger ist, als dieser. Denn sie können, wenn sie wollen.

VÖ : 26.09.2008

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