Im dritten Teil des Miyagi Tourtagebuchs, in dem uns die Band mit nach Erfurt, Aalen und Plauen nimmt, erfahren wir so einiges über die Gewohnheiten des Quintetts: Was hat es mit der Travel-Pussy auf sich? Wo kauft die Band ein? Welche Tierdoku gibt es diesmal nach dem Konzert? Aber lest selbst:
IV. Erfurt
Hallo Mainstage-Leserschaft,
es geht weiter. Unser Gitarrist Björn hat die erste Herbstgrippe überstanden und wir treffen uns nach der einwöchigen Tourpause pünktlich um halb elf am Proberaum. Heute ist der 5. November und unser erstes Ziel in dieser Woche heißt Erfurt. Bevor wir losfahren feilen wir im Proberaum noch ein wenig an neuen Songs. – Schließlich planen wir für heute eine Premiere: Zum ersten Mal wollen wir „Hand in mine“ performen und das will gut vorbereitet sein. Dann geht’s los. Ab auf die Autobahn. Kilometer für Kilometer rauscht die idyllische mitteldeutsche Herbstlandschaft an unseren Köpfen vorbei.
Nach einigen Stunden halten wir an der Raststätte Ramsberg in Krauthausen (das heißt wirklich so). Wir machen eine kurze Pause und tauchen ein in die absurde Welt der Autobahnraststätten. Autobahnraststätten sind immer gleich. Überall. Sie unterscheiden sich eigentlich nur darin, ob es dort McDonalds, Burger King oder keins von beiden gibt. In Krauthausen trifft Letzteres zu. Stattdessen werden dort im Raststättenrestaurant Soljanka und jede Menge andere osteuropäische Gerichte serviert. Hauptbestandteil der meisten Speisen ist Kraut. Wen wundert’s!?
Wir gehen nicht weiter auf die Speisekarte ein und stattdessen nur auf die Toilette, wo uns ein weiteres Phänomen von Autobahnraststätten ins Auge springt. Die Travelpussy. Den meisten mag sie vermutlich nur als Songtitel von Deichkind bekannt sein, aber es gibt sie wirklich. An jeder Raststätte überlegen wir kurz, ob wir sie kaufen sollten. Nur um zu wissen wie sie aussieht, aber nie setzen wir es in die Tat um. Dieses Mal ist es anderes. Der Anzugträger am Waschbecken wird ignoriert, ein paar Euromünzen in den Automatenschlitz gesteckt und dann fällt ein kleines schwarzes Pappschächtelchen mit pinkfarbiger Aufschrift, kaum größer als eine Streichholzschachtel, in die dafür vorgesehene Auffangschale des Automaten. Unglaublich. Für einen rosafarbigen Gefrierbeutel, den man mit warmen Wasser oder wahlweise auch Luft füllen und mit dem beigelegten Pussy-Gel einreiben kann, haben wir soeben vier Euro ausgegeben.
Wieder im Wagen wird sie aufgeblasen und fliegt als Luftballonersatz die gesamte Fahrt über durch das Auto. Im Radio erfahren wir in einem Beitrag, dass heute der 50. Geburtstag von Bryan Adams ist. Egal. Dann erreichen wir endlich die Geburtsstadt von Yvonne Catterfeld, Marco Schreyl und Clueso. Wir gehen über in die übliche Routine: Begrüßung, Small-Talk, Kaffee, Aufbau, Bier, Soundcheck, Chili con Carne, Bier, warten und noch mehr Bier.
Dann klopft es plötzlich an der Tür. Das Campus-Radio Jena will ein Interview und wir erfahren, dass man aufpassen muss, was man in seinem Tourtagebuch von sich gibt. Jedenfalls lautet einer der ersten Sätze der Radiotypen: „Ich habe gehört, dass ihr viel kniffelt.“ Zu unserer Verteidigung muss gesagt werden, dass es vorletzte Woche in Brandenburg das erste Mal war, dass wir als Band gekniffelt haben. Während des Konzertes treffen wir dann auf den nächsten Tourtagebuchleser, der lauthals „Warum seid ihr nicht mehr Fahrradhauptstadt?“ ruft. Ein bisschen überrascht antwortet Stefan: „Weil wir jetzt die Autohauptstadt sind!“
Ich bin mal gespannt, ob das so weiter geht und beim nächsten Auftritt dann Travelpussy-Sprechchöre aus dem Publikum kommen oder wir zumindest in einem der nächsten Interviews gefragt werden, was denn aus ihr geworden ist und wer sie getestet hat. Man wird sehen… Das Konzert verläuft nach Plan, die Premiere des Songs „Hand in mine“ klappt, wir widmen uns wieder den Getränken und fallen irgendwann in die Betten des Backstageraumes.
Am nächsten Morgen machen wir noch ein paar Erinnerungsfotos vor der Erfurter Herbstkulisse, um dann wieder die Autobahn aufzusuchen. Man erwartet uns in Aalen.
V. Aalen
3/2n(n+1)-n ist die Formel, die mir verdeutlicht, dass es Sachen gibt, die völlig dämlich sind, aber trotzdem gemacht werden. Genauer gesagt ist es die Formel, mit der man errechnet, wie viele Karten man benötigt, um ein Kartenhaus zu bauen, wobei n die Anzahl der Stockwerke ist. Das größte Kartenhaus wurde übrigens heute vor genau 10 Jahren in Berlin mit einer Höhe von 7,71 Meter erbaut. Total dämlich und überflüssig. Fast genauso überflüssig erscheint uns auch die heutige Fahrt nach Aalen. Aalen ist sicherlich eine Reise wert, aber wenn man bedenkt, dass wir uns morgen zu selben Zeit wieder auf den selben Weg in die andere Richtung machen, weil wir dann in Plauen spielen, was in der unmittelbaren Nähe von Erfurt liegt, dann wirkt das doch ein bisschen dämlich, oder? Aber egal…
Unser Navi, dessen Bildschirm ständig am flackern ist, zwischendurch sogar total ausfällt und plötzlich in der Mitte des Bildschirmes nur noch strichcodeartige Symbole anzeigt, verrät uns dann irgendwie doch den Weg von Erfurt über Poppenhausen nach Aalen. Erst während der Fahrt merken wir, dass Aalen verdammt weit südlich in Deutschland liegt und eigentlich fast ein Vorort von Stuttgart ist. Aber auch nur fast. Jedenfalls spricht man dort Schwäbisch. Aber auch nur fast. Der Veranstalter vor Ort kommt eigentlich aus Berlin und stiftet mit seinem Dialekt erst mal Verwirrung. Nach kurzer Aufklärung begrüßen wir die zwei zutraulichen vier Wochen alten Katzen seiner WG, eine weiß, eine grau, und schauen uns daraufhin ein wenig in der Aalener Innenstadt um.
Es wird bereits dunkel. Dennoch machen wir uns auf den Weg und können die schöne Innenstadt Aalens bewundern. Sie ist geprägt von Fachwerkhäusern und vor dem historischen Rathaus steht ein Marktbrunnen über dem eine Kopie der Statue von Kaiser Joseph I. trohnt. Das Original steht wohl im Rathaus, aber wir geben uns mit der Kopie zufrieden. Außerdem erkennen wir an einer Vielzahl von Plakaten, dass in Aalen zur Zeit das Aalener Jazzfest stattfindet. Es zählt zu den fünf größten Jazzfesten Deutschlands, in dessen Rahmen bereits Berühmtheiten wie Miles Davis, Ray Charles und Al Jarreau aufgetreten sind. Heute treten Tower of Power und der vielleicht bedeutendste Jazzmusiker Afrikas Abdullah Ibrahim auf. Naja, wir sind nicht dabei. Dabei sind wir doch tief in unseren Herzen eingeschworene Jäzzer. Aus Frust über unsere Ausschließung geht es erst mal zu H&M. Daniel will sich eine Mütze kaufen, weil ihm kalt ist. Weil es bei H&M so schön warm ist, bleiben wir direkt eine Stunde dort und probieren alles von der Stange weg an, bis Daniel schließlich eine Mütze gefunden hat. Dann geht es zum Laden, in dem wir auftreten sollen. Er nennt sich Frapé. Wie das koffeinhaltige Erfrischungsgetränk.
Anstelle des Kaffees gibt es im Frapé jedoch regionales Bier, den sogenannten Kocherreiter aus der Lammbrauerei. Nach dem Soundcheck geht es wieder in die WG zu den Katzen. Außerdem gibt es dort einen leckeren Nudelauflauf gegen den Hunger und Wer wird Millionär für die Allgemeinbildung. Nach einer kurzen Verdauungsphase betreten wir die Bühne und beginnen mit unserem Set. Gegen Ende des Konzertes während des Liedes „M.E.G.A.N.“ geht Stefan mit dem Mikro in der Hand aus dem Laden und singt von vor der Tür weiter. Ein Mann mit Kamera in der Hand springt ihm hinterher und schafft es, ihn durch seine „Great, great shot, great!„-Rufe leicht aus dem Konzept zu bringen.
Wenig später geht es dann auch schon ins Hotel. Der dortige Teppich erinnert stark an amerikanische Hotels und die Wände im Treppenhaus an Garagentore. Die Dusche befindet sich mit in den Zimmern und die Toilette am anderen Ende des Flures. Außerdem darf in den Zimmern wie üblich nicht geraucht werden. – Dafür aber auf dem Flur… Seltsam. Da wir nun im Flur rauchen, sehen wir, wie alle paar Minuten betrunkene alte Männer die Treppen hinaufstolpern. Vermutlich kommen sie vom Jazzfest. Dort treten morgen übrigens Clueso, Daniel Powter und Mousse T. auf. Also, wenn die sich alle als Jäzzer bezeichnen dürfen, dann wir doch erst recht. Also, aufgepasst: Die Jazzband Miyagi kommt. Auf geht’s! Auf nach Plauen.
VI. Plauen
Die nächste Station unserer Tour ist also Plauen. Wo das liegt, weiß eigentlich auch niemand so genau. Wir wissen nur, dass es irgendwo bei Erfurt liegt und wohl bekannt für seine Spitzen ist. Auf unserer Fahrt merken wir, dass die Richtung zwar in etwa stimmt, es dann aber doch ein Stück weit südlicher gelegen ist als Erfurt. Plauen liegt in Sachsen, grenzt aber an Thüringen und es ist nur ein Katzensprung bis nach Tschechien. Somit müssen wir auch nicht die gleiche Autobahn fahren wie gestern. Stattdessen fahren wir über die A9. Das erfreut uns. Schließlich hat die A9 die vier lustigsten Autobahnausfahrten der Welt: Gefell, Gefrees, Triptis und Lederhose.
Da wir recht früh in Plauen sind, fahren wir zunächst durch die hügelige Landschaft des Vogtlandkreises zum Hotel Romantica. Es ist ein riesiger Unterschied zu dem Hotel, aus dem wir heute morgen ausgecheckt haben. Es gibt eine überaus freundliche Begrüßung und als erstes erfahren wir, dass wir morgen frühstücken können, wann wir wollen, und wann wir auschecken ist auch völlig uns überlassen. Das hört man gerne. Das kommt nicht oft vor.
Nach ein paar Stunden Aufenthalt in den Hotelzimmern geht es dann zum Club. Er nennt sich Club Zooma. Club Zooma in Plauen. Ein modern klingender Name irgendwo in der sächsischen Provinz. Was soll das denn werden? Vermutlich irgendeine kleine jugendzentrumsähnliche Dorf-Disko, in der dann zehn Menschen vor der Bühne stehen, ein bisschen mit dem Kopf nicken und dann nach dem Konzert mit ihren in den Kniekehlen hängenden Nietengürteln zur Band gehen und sagen, dass es ihnen gefallen hat, weil sie noch nie eine Band mit zwei Schlagzeugen gesehen haben. In einer Stadt mit knapp über 60.000 Einwohnern, die kaum einer kennt, mit einem Club, der total weit weg vom Schuss gelegen ist, kann man wohl nicht mehr erwarten.
Das alles vermutet man zumindest. Das alles vermuten auch wir während der Fahrt vom Hotel zum Club. Wir fahren eine Viertelstunde über eine Landstraße, kommen zu einem Kreisverkehr, fahren weitere zehn Minuten über eine Landstraße, merken, dass wir falsch abgebogen sind, fahren zehn Minuten auf der Landstraße zurück, dann wieder der Kreisverkehr, diesmal eine andere Ausfahrt, zehn Minuten über eine andere Landstraße, merken dann, dass wir wieder falsch sind, fahren fünf Minuten auf der Landstraße zurück, biegen links in ein unbeleuchtetes Gewerbegebiet, fahren dort zwei mal im Kreis und rufen dann endlich mal den Veranstalter an. Er verrät uns, dass wir genau richtig sind. Wir wenden, fahren zwanzig Meter zurück und stehen, wie vermutet, vor einem unauffälligen Gebäude, das tatsächlich wie eine kleine Provinz-Disse aussieht. Da müssen wir wohl jetzt durch. Wir parken den Wagen und betreten den Laden durch den Hintereingang.
Die Tür geht auf und vor uns offenbart sich eine Welt, wie wir sie nicht erwartet hättet. Der Club ist viel viel größer, als er von außen erscheint. Alles ist in einem stylischen Schwarz-Rot-Weiß gehalten. Neben der Bühne und an den Wänden blinken kleine weiße Lämpchen auf. Die Soundanlage, so lässt der Veranstalter verlauten, kostest soviel wie ein Haus. Auf der Bühne strahlen zwei Beamer unseren Schriftzug an die Wand und in der Regel sind immer um die 500 Menschen im Laden, weil sie aus einem Umkreis von 100 Kilometern und weiter anreisen.
Schnell machen wir uns an den Soundcheck, aber der sympathische Mischer hat die Ruhe weg. Zwischendurch gibt es Pizza und dann bringen wir den Soundcheck satt und entspannt zu Ende. Die Soundanlage ist ihren Preis wert. Bisher ist alles super. Super Hotel. Super Landschaft. Super Laden. Super Sound. Super nette Leute. Alles super. Das einzige, was nicht ganz so super ist, ist dass wir vor Ort nicht die N24-Tierdoku sehen können. Aber Daniel hat vorgesorgt und eine Doku über die Tierwelt der Azoren auf seinem Laptop. Die ist auch super. Wenn das Publikum jetzt auch noch so super ist, dann kann man sich keinen schöneren Abschluss für dieses Wochenende vorstellen. – Und das Publikum ist super! So kann die Tour weitergehen. Nach den Konzerten im Osten mit einem kleinen Abstecher nach Aalen kommen nun andere Regionen Deutschlands an die Reihe. Nächste Woche dann Frankfurt, Köln und Dortmund. Wir sehen uns…
Euer Axel
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