Die Wahrheit übers Lügen ist sowohl das dritte Soloalbum von Farin Urlaub, wie auch das Debüt-Album des Farin Urlaub Racing Teams. Erstmalig hatte endlich die Band das Mitspracherecht, das sich während der letzten Tour ja ohnehin schon angekündigt hatte, und bekommt damit nun den Stellenwert, den sie verdient. Entstanden sind daraus anderthalb CDs, die man wohl am Besten durch die Begriffe „Büffelherde“ und „Ponyhof“ unterscheiden kann…
Angefangen hat alles mit Farin Urlaub und einer Einladung von Rock am Ring und Rock im Park im Jahr 2002. Ein Soloalbum gibt es zwar seit Kurzem, aber keine Band für irgendwelche Live-Auftritte. Die ist jedoch schnell gefunden: Gegensätzlich zu den Ärzten soll der Großteil der Mitmusiker aus Damen bestehen, zu Anfang sogar mit Streichinstrumenten, als nächstes wird die Bläser-Belegschaft der Busters an Board geholt. Im Herbst 2002 geht dann, entgegen aller vorigen Behauptungen, das Racing Team zum ersten Mal auf Tour.
Pünktlich zum zweiten Soloalbum ist die Band nach einigen Änderungen der Besetzung dann endgültig komplett und bühnenreif, so dass einer zweiten, wesentlich größeren und längeren Tournee 2005 nichts im Wege steht.
Hier wird schnell klar, dass die MusikerInnen des Racing Teams dem Chef sowohl in Musikalität (man denke an die berühmten Live-Duelle zwischen Gitarre und Posaune…) wie auch in Schlagfertigkeit (bezüglich diverser Spruch-Schlachten zwischen Farin und seinen Sängerinnen…) locker das Wasser reichen können und dass es langsam Zeit wird, das Farin Urlaub Racing Team nicht nur auf den Namensgeber zu reduzieren.
Genau das wird nun nicht nur live, sondern auch auf Platte praktiziert. Die Wahrheit übers Lügen ist als gemeinsame Studioarbeit des Racing Teams entstanden und will auch als solche betrachtet werden.
Die elf auf der großen CD befindlichen Songs lassen sich im Grunde in die Kategorie „Rock“ einordnen, die vier weiteren Songs auf der Mini-CD sind durch die Ska- und Dancehall-Einflüsse wesentlich tanzbarer.
Konträr zu den letzten zwei Platten ist die Band bei jedem Lied hörbar vertreten, aber das ist nicht alles, was anders ist. Besonders im direkten Vergleich wird sehr schnell deutlich, dass Die Wahrheit übers Lügen nicht das ist, was man als Fortsetzung erwartet hätte. Dazu trägt einerseits die sehr strikte Trennung zwischen den eher härteren Brettern und dem tanzbaren Teil bei, zum anderen aber auch die Texte, denn auch inhaltlich scheint sich beim Racing Team etwas geändert zu haben.
Das Gros der Songs ist längst nicht so humorvoll und sonnig wie auf „Endlich Urlaub“ und ebenso wenig ernst und nachdenklich wie die Mehrheit auf „Das Ende der Sonne“ – es scheint, hier hält es sich gut in der Waage.
Bei näherem Hinsehen passt vor allem ein Schema: Je ernster der Hintergrund des Textes, desto fröhlicher die Musik, desto belangloser wirkt der Song. Auffällig ist das besonders bei Liedern wie „Krieg“ (was schon etwas nach Single klingt) oder auch „Insel“:
„Ich bewundere alle Menschen, die in großen Städten wohnen
wo man niemals ganz allein ist, immer einer von Millionen
Und man stürzt sich ins Getümmel und der Strom reißt einen mit
und man hat ein bisschen Mühe, doch man hält irgendwie Schritt
und man sieht Werbung, wohin man auch schaut,
denn auf Werbung ist unsere Wirtschaft aufgebaut.
Und es gibt Werbung für alles, was man nicht braucht, damit man Auto fährt, anders riecht und dabei raucht.
Dagegen helfen keine Pillen und auch keine Prophylaxen
Ich bin hilflos, denn meine Wünsche wachsen in dem Maß,
in dem mein Einkommen steigt, so dass das Glück immer gleich unerreichbar bleibt
Es ist ein bisschen wie beim Turmbau zu Babylon
Ich hab so viele Träume – hier ist einer davon:
Eine Insel mitten im Meer…“
Am Ende wird erst durch die Auseinandersetzung mit einem solchen Text klar, worum es eigentlich geht, wenn die Musik eher an Cocktails am Strand erinnert.
Ein ähnliches Prinzip findet sich auch beim Song „Pakistan“, der sich scheinbar mit allem anderen beschäftigt als mit dem titelgebenden Land, womit man eher Gefahr suggeriert als ein nächstes Reiseziel.
Auch musikalisch ist einiges anders als gewohnt: Insgesamt klingt das Album sehr viel basslastiger und rockiger als seine Vorgänger, was auch wiederum durch die Entscheidung begünstigt wird, die eher Ska- und Dancehall-beeinflussten Songs extra als Mini-Disc beizulegen, statt sie unter den Rest zu mischen.
Die Wahrheit übers Lügen ist ein schwieriges Album. Es gefällt beim ersten Mal nicht so ausschließlich, „Hits“ sind nicht so offensichtlich – bereits die erste Single dieser Platte fällt ganz aus dem Rahmen der früheren Auskopplungen – aber gerade diese Unangepasstheit macht das Album aus und spiegelt sich sowohl in der Musik als auch in den Texten wider.
Sogar im Digi-Pak und dem Booklet findet sich durch die Farbgebung dieses Yin-Yang-Prinzip, auf das der Titel der Platte ja bereits anspielt.
Es ist ein Album, das dem Hörer erst etwas ans Ohr wachsen muss, bevor er es ganz und gar genießen kann.
Die Wahrheit übers Lügen ist am 31. Oktober bei Völker hört die Tonträger erschienen.