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Gerhard Gundermann – Alle Oder Keiner. Auswahl 1

Gundi starb vor zehn Jahren.
In der Nacht zum 21. Juni 1998 erlitt der ostdeutsche Liedermacher und Rockmusiker Gerhard Gundermann im Alter von 43 Jahren einen tödlichen Hirnschlag. Zum zehnten Mal jährte sich dieses Jahr dieser traurige Tag. Aus diesem Anlass erschien der erste Teil einer Auswahl seiner Lieder, die keinesfalls als Best-Of-Platte verstanden werden soll.

„Bereits die Begrifflichkeit wie „Das Beste“ (…) oder gar „Die Großen Erfolge“ offenbart eine mittelschwere Absurdität im Bezug auf seine Art, Kunst zu machen. „Alle oder Keiner“ ist darum der Versuch eines Porträts in Songs und bewegten Bildern“, so der BuschFunk-Musikverlag, der die Pflege des Gundermann-Werks seit Jahren angemessen und glaubwürdig betreibt, in einer Pressemitteilung.

Dem Album beigelegt ist eine DVD, die lange verlorenes Bildmaterial endlich wieder verfügbar macht. Hier finden Freunde des Liedermachers Ausschnitte aus einem der letzten Konzerte im Berliner Tränenpalast 1998 oder Fragmente des Konzertes mit der befreundeten Musikerin Silly aus dem Jahre 1994. Auch ein Teil des Films „Ende der Eisenzeit“ findet man auf der sehenswerten DVD.

Ich war ’n Bergmann,
weiter hab ich nischt gelernt,
ich hab dieses Land in jedem Winter treu gewärmt.
Die Lunge ist wie ’n Sack mit Kohlebrocken voll,
im Herzen Asche, in den Adern Alkohol.

Ach, meine Grube, Brigitta, ist längst pleite,
und die letzte Schicht lang schon verkauft.
Und mein Bagger, der stirbt in der Heide,
und das Erdbeben hört endlich auf.

Dieser Dokumentarfilm zeigt Bilder der letzten Tage, die Gundermann im Tagebau Scheibe arbeitete, bevor seine Grube geschlossen wurde. Zeit seines Lebens war Gundi nicht nur Musiker, sondern auch Baggerfahrer. Man nannte ihn, den drahtigen Mann mit dünnem Pferdeschwanz und einfacher DDR-Kassenbrille, oft den „singenden Baggerfahrer“. Diese zwei Berufe waren in Gundermanns Leben immer gleichberechtigt. Er wollte, auch als er längst genug Geld zum Leben mit der Kunst verdiente, seine Arbeit im Tagebau nicht aufgeben. Zu fremd erschien dem Asketen diese Lebensweise.

„Ich war mit dem Bagger länger zusammen als mit meiner Frau, da ist schon Liebe entstanden.“

Ohne die Arbeit Tagebau hätten Gundis Lieder aber auch nie das gekonnt, für das man sie heute noch schätzt: Sie artikulieren die Träume einfacher Menschen, sie sprechen den im Zeitenlauf Untergegangenen aus dem Herzen, sie verleihen den Vergessenen eine Stimme. Mit einer angeborenen Gabe zur Melancholie, die nie in Wehleidigkeit abgleitet, trifft Gundermann mit seinen Songs über Alltäglichkeit und Vergangenheit mitten ins Herz. Seine politischen Lieder, die eigentlich weniger „politische Lieder“ sind, weil sie Plattitüden vermeiden und stets mit dem Emotionalen verbunden sind, beweisen sich auch heute noch als aktuell. Gundi steht für jene, die sich nie richtig zuhause fühlen konnten. Er ist einer der Narren, die von einer besseren Welt träumen. Und dennoch war er stets einer von ihnen, einer von uns, kein abgehobener Künstler mit Starallüren.

Eine kleine leise Traurigkeit
bleibt wohl jetzt lange bei mir
und ich suche noch nach deinem Kleid
in den Feierabendbussen halb vier,
und zwei Tassen stelle ich auf den Tisch,
so als ob du heute noch kommst
und ich lach, wenn ich mich dabei erwisch
und das Teewasser kocht ganz umsonst.

Eröffnet wird „Alle oder keiner“ mit einer bis dato unbekannten Aufnahme „Und ich suche die ich liebe“ aus dem Jahre 1982. Es folgen Lieder aus den verschiedenen Schaffensphasen. Sowohl intensive Solo-Liveaufnahmen wie „Der Narr“ vom letzten Konzert in Krams als auch beinahe zu Volksliedern avancierten Songs, die er mit seiner Band Seilschaft aufnahm, wie „Owehoweh“ oder „Und musst du weinen„, bis hin zu ganz frühen Stücken wie „Eine kleine leise Traurigkeit“ vom Debütalbum finden hier Platz.

Der BuschFunk-Verlag hat es aber selbst erkannt: „Wenn schon Gundermann, dann das ganze Programm“. So hat für mich diese Veröffentlichung – wenn auch einen nicht unerheblichen – symbolischen Wert. Die Lieder selbst finden sich sowieso alle im Plattenschrank. Die Fülle an Gundermann-Songs, die im Gegensatz zu der Mehrheit heutiger Popmusik noch das haben, was man ein „Lebensgefühl“ nennt, kann man nicht mittels einer Auswahl abtun, das dürfte allen, die Gundi schätzen klar sein.

Dennoch ist diese Veröffentlichung eine gelungene Bereicherung, nicht nur wegen der bewegenden DVD. Man erkennt, dass hieran liebevoll gearbeitet wurde. In Mini-Buchform wird das Album komplettiert mit einer Vielzahl an Bildern, Dokumenten, einem Interviewfragment und Zeitungsauschnitten.

Es kommt der Tag,
da sind die Kleinen groß
und die Großen werden tot sein.

Und ich kehre zurück
auf’m Pferd mit wilder Mähne.
Und aus schwarzen Schafen
werden weiße Schwäne.

Alle Oder Keiner“ erschien am 20. Juni 2008. Die Fotos entstammen dem Film „Ende der Eisenzeit„.

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