Einige Tage sind ins Land gezogen, seit das Haldern Pop Festival auch im Jahr 2009 wieder einmal die Musikliebhaber an den Niederrhein zog. Zeit genug, um ein wenig durchzuatmen, damit man nicht zu voreiligen Meinungen kommt, die man hinterher bereut. Nun hat man sich jedoch lange genug ausgeruht und kann endlich sein finales Resümee ziehen. Es waren wieder drei besondere Tage in Haldern, doch irgendwie fehlte dieses Mal ein wenig mehr als anfangs gedacht …
Die Sonne brennt über den Köpfen der Besucher. Es ist früher Samstag Nachmittag und obwohl die heißeste Phase des Tages bereits vorüber ist, bleiben noch einige Stunden an Hitze übrig. Man muss nur durchhalten. Der Schweiß perlt die Stirn nur so herunter, während Grizzly Bear aus New York auf der Hauptbühne zwar eine interessante und beeindruckende Show abliefern, aber dennoch keine wirkliche Abkühlung bieten. Im Gegenteil, ihre psychedelischen Anmutungen sind nichts, bei dem man sich ausruhen kann und sollte. Plötzlich öffnen sich die Absperrgitter neben der Bühne, die bisher nur den Menschen Einblick in den Backstage-Bereich des Festivals boten, die auch die entsprechenden Ausweise vorzeigen konnten. Der Mann der Security guckt grimmig, weil er seinen Platz im kühlen Schatten für einen Moment gegen die brütende Hitze tauschen muss, um die Gitter anzuheben. Er lässt es aber dennoch zu, während sich hinter ihm ein Traktor den Weg aus der "verbotenen Zone" in Richtung Publikum bahnt. Der Fahrer des Gefährts blickt seinem Weg mit niederrheinischer Gelassenheit entgegen. Wahrscheinlich ein Einwohner Halderns, wie fast alle ehrenamtliche Helfer des Festivals. Im Gepäck hat er einen großen Wassertank, an dessen Ausschankventil ein Schlauch gebunden ist und schnell die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich lenkt. Wer Abkühlung durch das kühle Nass sucht, findet sie hier und lässt dabei eigentlich viel mehr zu, als nur eine erfrischende Dusche. In eben solchen Momenten verschwimmen die Grenzen der verschiedenen Welten der noch immer spielenden Musiker, des sich abkühlenden Publikums und des Traktorfahrenden Einwohner Halderns und bieten einen dieser unvergesslichen Augenblicke, für die das Haldern Pop Festival sich seit nun mehr 26 Jahren aufopfert: Augenblicke, in denen man hunderte Kilometer von der Heimat entfernt ist, sich aber dennoch fast wie zu Hause fühlt. Hier weiß man, dass man nicht nur Zuschauer, sondern viel mehr Teil des Ganzen ist.
Donnerstag
Geradezu bezeichnend ist dabei, dass Broken Records Donnerstags ihr Set im Spiegelzelt mit den Song „Nearly Home“ beginnen. Eine Hommage an das oben genannte Gefühl? Man weiß es nicht. Was man aber weiß oder spätestens bei diesem Auftritt zu hören bekommt, ist das Können dieser Band. Until The Earth Begins To Part ist bereits ein großartiges Album, doch live werden die Songs in andere Dimensionen katapultiert. Ein Höhepunkt schon zu Beginn des Festivals. Wildbirds & Peacedrums sind danach leider die resignierende Abkühlung. Persönlich hatte ich gehofft, dass mich die Songs des Duos live ein wenig mehr berühren, doch ist mir zu viel Reduzierung dann doch zu viel des Guten. Soap & Skin wären darauf eigentlich das ideale Mittel gewesen, um meine Motivation zu steigern, gab es aber nicht. Die gute Frau hatte im Vorfeld bereits abgesagt und man weiß nicht, ob das bereits erste Anzeichen einer heranwachsenden Diva sind. Nichtsdestotrotz, Sympathie verspielt. Die schenke ich dann lieber Wintersleep, die dort ansetzen, wo ihr Hype-Publikum sie haben will: Ganz weit oben und das zu Recht. Darf ich sagen, dass ich sie bereits vor fast einem Jahr kannte? Nicht? Egal, denn ich tanze trotzdem und werfe die Faust in den Himmel.
Abschließend an diesem Abend werfen The Irrepressibles statt Fäuste Küsse ins Publikum und lassen mit vielgeschichteten Melodien das Spiegelzelt erstrahlen, an Eunuchen-Gesang werde ich mich trotzdem nie gewöhnen können. Da nutzt man lieber die Zeit, um sich in den neu gestalteten Biergarten vor dem Spiegelzelt zu setzen. Was war doch im Vorfeld lautstark darüber geschimpft worden, wie sehr doch die begrenzte Kapazität von tausend Besuchern im Spiegelzelt in Relation zur gesamten Anzahl von knapp 6000 Besucher des gesamten Festivals an Ausverkauf und Betrug grenzt. Eine Kritik, die aber auf die Ohren der Veranstalter traf. So wurde eine LED-Bildschirmwand vor dem Spiegelzelt installiert, auf der man das gesamte Geschehen, das sich nur ein paar Meter weiter innerhalb abspielt, nachverfolgen kann. Inklusiver gleichzeitger Vertonung, versteht sich. Ein Konzept, das an diesem Wochenende aufging. Die Warteschlangen hielten sich in Grenzen und wer es dennoch nicht geschafft hatte, reinzukommen, konnte sich im Biergarten bei einem Bier dennoch den Auftritt seiner Schützlinge ansehen. Nimmt man natürlich selber auch gerne wahr, um mal wieder frische Luft zu schnappen und die letzten Songs das Abends ausklingen zu lassen. Zwei Höhepunkte am Donnerstag, aber noch keine große Überraschung. Egal, war ja auch erst das Aufwärmtraining.
Freitag
Die erste Halbzeit beginnt am Freitag und das erst am späten Nachmittag. So kann man den bereits sonnigen Tag vorher dazu nutzen, um sich darüber zu wundern, dass das Haldern Pop in Sonnenstrahlen getaucht wird, da dieses Wetter an den traditionellen August-Wochenenden am Niederrhein normalerweise einen exklusiven Status genießt. Ansonsten wundert man sich nicht viel, denn es ist vieles beim Alten geblieben. Die freie Zeit investiert man in einen kurzen Besuch im Dörfchen Haldern und verliebt sich direkt wieder in diese ländliche Atmosphäre, die mir selbst als Eifeler das Herz raubt. Danach aber schnell wieder auf das Festivalgelände, denn Final Fantasy eröffnen den persönlichen musikalischen Freitag. Die anfangs in diesen Auftritt gesetzte Hoffnung verflüchtigt sich allerdings nach kurzer Zeit, denn so richtig mag Owen Palletts alleinige Präsenz auf der Hauptbühne nicht zu überzeugen. Viel Spielerei, viel gesanglicher Pathos, zu viel für mich. Ein wenig mehr wünscht man sich danach allerdings für Noah and the Whale. Letztes Jahr musste die Band leider absagen, sodass dieses Jahr die Freude im Vorfeld noch größer schien, da schließlich auch das neue Album The First Days Of Spring bald den Weg in die Läden findet und was man davon bisher zu hören bekam, hatte es in sich. Am heutigen Freitag jedoch scheint davon nichts mehr übrig zu sein. Geradezu langweilig wirkt das Zusammenspiel aus den Songs des ersten und des neuen Albums. Wenn dann auch noch der gleichnamige erste Song der kommenden Platte als Rausschmeißer gespielt wird, bleibt nur eine ernüchternde Resonanz zurück. Vielleicht wäre ein Auftritt im Spiegelzelt letztes Jahr passender gewesen.
Direkt im Anschluss rettet Anna Ternheim allerdings die Situation. Ein wenig erhaben, aber dennoch mit dem nötigen Gespür für die richtige Atmosphäre erobert sie Herzen. Meines zwar nicht, doch das ist eine andere Geschichte, für die keine Zeit ist. Schnell wird ins Pressezelt geeilt. Ungünstige Interview-Planung mit Noah and the Whale führen leider dazu, dass ich den Anfang von Patrick Watson nur aus der Ferne genießen kann. Doch man erledigt seine Pflichten und eilt zurück. Zum Glück noch rechtzeitig, um den wahrscheinlich besten Auftritt auf der Hauptbühne zu genießen. Vor zwei Jahren spielte er noch im Spiegelzelt und begeisterte bereits dort, weshalb man im Vorfeld munkelte, ob das auch auf der größeren Bühne funktionieren könnte. Diese Frage ist schnell geklärt: es funktioniert. Man lacht, man weint, man hat Gänsehaut. Zusammen mit seiner Band „The Wooden Arms“ beweist Patrick Watson, dass es eigentlich nicht viel braucht, um eine unvergleichbare Atmosphäre zu schaffen, bis auf eine spürbare Liebe zur Musik und einer gewissen Bodenständigkeit. Ein Großteil der Songs stammen natürlich vom neuen Album Wooden Arms und bieten einen wunderbaren Einblick, in die neu angeeignete musikalische Komplexität und Vielschichtigkeit des Herrn Watson. Spätestens wenn er dann für einen Song mit einem Rucksack aus Scheinwerferlampen von der Bühne herabsteigt und singend durch die Menge spaziert, weiß man, dass genau hier wieder einer der Momente entsteht, an die man sich später mit Gänsehaut zurückerinnert und für die man den Künstler ewig lieben wird. Hab Dank, Patrick. „my sweet oh luscious life/you taste so sweet/when you are so free„.
Hiernach muss eine Pause sein. Durchatmen. Loney Dear genießt man dann lieber aus der Ferne. Es geht nicht anders, denn Eindrücke sollen nicht überschäumen sondern verarbeitet werden. Man isst Pommes und Currywurst, trinkt ein Bier, genießt den ansatzweise erahnenden Rhythmus des Alltags, um sich zu erden. So schaut man dann auch einmal im Spiegelzelt vorbei, wo jetzt eigentlich Jonathan Jeremiah spielen sollte. Er hat jedoch abgesagt und so springt kurzer Hand ein anderer Künstler ein: William Fitzsimmons. Darauf war ich persönlich nicht vorbereitet, sollte er eigentlich erst morgen spielen. Deswegen erspare ich mir jetzt auch meine Eindrücke, bitte den Leser stattdessen das Myspace-Profil des Herrn Fitzsimmons aufzurufen, sich den Song „You Still Hurt Me“ rauszusuchen, die Augen zu schließen und einfach nur zu genießen. Manchmal fehlen Worte und das zu Recht. Den Abschluss an diesem Freitag machen Athlete auf der Hauptbühne. Die Indie-Version von Maroon 5. Mehr fällt mir leider nicht ein. Vielleicht hätten sie einen anderen Vergleich verdient, aber die Messlatte, die trotz der leicht bescheidenen Auftritte mancher Künstler gesetzt wurde, lässt nicht mehr zu. Da zieht man sich lieber in den Schlafsack zurück und spart sich die Kräfte für den nächsten Tag, denn die zweite Halbzeit hat es noch einmal in sich.
Samstag
Der Samstag beginnt heiß. Von der bereits am Morgen brennenden Sonne wird man geweckt und realisiert, dass heute bereits der letzte Tag des Haldern Pop Festivals ist. Seufzende Resonanz, die man aber schnell wieder ablegt, denn die angekündigten Künstler der nächsten Stunden lassen nichts anderes als Vorfreude zu. Da packt man dann schnell die Sachen zusammen und findet sich bereits zur Mittagszeit vor der Hauptbühne wieder, wo zu dieser Zeit iLiKETRAiNS den unwürdigen Platz im Programmplan einnehmen und man sich fragt, wieso diese großartige Band nicht im Abendprogramm untergebracht werden konnte. Von mir aus auch mitten in der Nacht, aber leidenschaftliche Schwerfälligkeit passt einfach nicht zur heißen Mittagszeit. Im Gegensatz zu Dear Reader, die zwar einen Auftritt im Spiegelzelt verdient gehabt hätten, aber dennoch zu dieser frühen Zeit zu überzeugen wissen. So kommt nun aber wenigstens jeder, der will, in den Genuss dieser bezaubernden Band aus Johannesburg. Sängerin Cherilyn MacNeil wickelt schnell das ganze Publikum um den Finger und wenn dann auch noch Schlagzeuger Michael Wright in den Gesang mit einsteigt, weiß man, dass hier ein kleiner Stein langsam zu einem glänzenden Diamanten geformt wird. Lieder wie „Bend“ oder „The Same“ die bereits auf dem Album Replace Why With Funny ganz besonderes Liedgut waren, präsentieren sich in der gleißenden Nachmittagssonne mit noch gewaltigerer Überzeugungskraft, die einem nicht die Schweißtropfen auf die Stirn sondern eher die Tränen der Begeisterung in die Augen steigen lassen. Wer an diesem frühen Nachmittag noch grillend auf dem Campingplatz verweilte, hat einen der sympathischsten und gefühlvollsten Auftritte des gesamten Festivals verpasst. Dear Reader haben mein Herz gestohlen.
Die Sonne brennt indessen über dem Gelände und lässt die dabei spielenden Grizzly Bear ein wenig ermüdend wirkend. Das haben sie nicht verdient, deswegen distanziere ich mich jetzt auch von einer finalen Meinungsabgabe und schiebe es auf die Hitze, vor der man dann auch lieber ins Spiegelzelt flüchtet. Macht man jedoch auch gerne, denn trotz Verspätung tritt nun endlich William Fitzsimmons auf und lässt komplett vergessen, was die letzten Tage gewesen ist. Alleine mit seiner Gitarre lässt der bärtige Songwriter tief in seine Seele blicken, dabei stets schüchtern und zurückhaltend. Songs wie „It’s not true„, die auf dem letzten Album noch mit ein wenig elektronischer Unterstützung intoniert wurden, präsentieren sich jetzt nackt im Klang der Gitarre und der Stimme Fitzsimmons, sodass man nur noch glücklich ist, an diesem Moment genau am richtigen Ort zu sein. Gänsehaut und Tränen und eigentlich auch hier mit fehlenden Worten. Da ist doch irgendwie unfair, wenn erst kurz danach mit einer kleinen Überschneidung Bon Iver seinen Platz im Abendprogramm verliert, um den sich verspätenden Andrew Bird zu ersetzen und dabei vielleicht nur verlieren kann, wenn man kurz vorher Herrn Fitzsimmons im Spiegelzelt bewundern darf. Die Kunst der Überladung. Wenigstens weiß man, wie großartig doch Bon Iver auf Platte ist, dann bleibt die Trauer fern. Für die hat man auch keine Zeit, denn danach sind The Thermals dran und beweisen, das an diesem Wochenende einfach Bands gefehlt haben, die nicht nach innen sondern nach außen drängen, Energie nicht in Melancholie, sondern im Powerriff suchen. Wie befreiend das sein kann, weiß man spätestens, wenn man den letzten Song „Now We Can See“ noch einige Stunden später im Ohr hat. Ein solider Auftritt, ohne Schnörkel, aber dafür mit reinigenden Kräften.
So wartet man erfrischt und mit neuen Kräften gestärkt auf den Vogelmann namens Andrew Bird, der zwar verspätet die Hauptbühne betritt, aber es dennoch schafft, die bereits seit einigen Stunden wartenden Geister mit seinen Lieder zu besänftigen. Da wird mal elegant die Melodie mit gepfiffen, mal die Geige gezupft und gestrichen und die meiste Zeit feingeistige Musik gemacht, die weder bestimmend noch erdrückend wirkt, sondern quasi die gute Laune streift und betont. Um so enttäuschter ist man allerdings, wenn man nach dem letzten Song feststellt, dass sich nur noch zwei Bands auf der Hauptbühne austoben dürfen und dann auch schon wieder Schluss mit dem Haldern Pop Festival für dieses Jahr ist. Doch man soll nicht traurig sein, denn schließlich weiß man, dass man in zwölf Monaten wieder hier stehen und alles genießen wird. was kommen wird. Weil man das eben hier so macht. Nun aber genug mit den Tränen im Knopfloch vor schon einsetzender Sehnsucht nach dem Niederrhein.
Auf zur vorletzten Band: The Soundtrack Of Our Lives. Die Schweden liefern natürlich das ab, was sie können. Rock’n’Roll in Reinform. Natürlich eröffnen sie mit „Babel On„, natürlich lässt sich Sänger Ebbot Lundberg feiern, als hätte er den Rock erfunden und natürlich ist das einfach ein großer Spaß dieses Muckertum zu beobachten und zu genießen. So bleibt man dann zum Schluss doch noch stehen, wenn Fettes Brot den Headliner-Posten beziehen und das Haldern Pop Festival für dieses Jahr abschließen. Es hätte bessere Bands geben können und was zwischen Wein, Weiber und Gesang bleibt, sind leider nur noch Ansätze der einstmals guten Songs der Brote. Weg vom Hip-Hop, hin zu schrecklich aufgesetztem Jan-Delay-Stil mit Bläsern und Band. Da freut sich das Partypublikum, wenn es bei „Schwule Mädchen“ lauthals mitsingen kann, wie auch die gesamte Setlist auf das alles abgestimmt wird. „Jein“ verbrät man als Opener und stürzt sich dann in den Abgesang von Liedern wie „Können diese Augen lügen?“ oder „The Grosser„, die wenig Glanz, aber dafür um so mehr erhobene Biergläser bieten. Die Hoffnung war da, dass die Brote die Chance nutzen, das Haldern Pop mit ihrem wirklichen Können überzeugen zu können. Stattdessen gibt es nur das 08/15-Programm für das x-beliebige Rock-Am-Ring-Publikum. Da bleibt eigentlich nur noch ein Wort übrig: Schade.
Ein kurzes Fazit zum Schluss: Es waren wieder drei schöne Tage am Niederrhein. Die Höhepunkte waren im Bezug zum 25. Jubiläum im letzten Jahr dieses Mal zwar etwas rarer gesät, aber das Durchatmen tat gut. Nicht immer nur den Zenit erwarten, sondern sich mit dem zufrieden geben, was auf den Teller kommt – vielleicht die finale Weisheit. Nächstes Jahr wieder am gleichen Ort mit der gleichen Gänsehaut und dem gleichen Lächeln im Gesicht. Haldern Pop – We are nearly home.
Mich würde mal die Story um die Anna interessieren…für welche keine Zeit war.