Das friedliche Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern wird einmal im Jahr durch das Immergut Festival anständig aufgemischt. In diesem Jahr ging es erst recht schwitzig zu, denn Bonaparte stand mit auf dem Programm. Vor dem Auftritt konnten wir uns mit dem Heerführer der Chaostruppe, Tobias Jundt, zu einem Gespräch treffen. Es ging um das neue Album, Live-Auftritte und um den Umgang mit dem Internet in der heutigen Zeit. Viel Spaß beim Lesen…
Ihr spielt heute Abend auf dem Immergut Festival. Ihr wart hier noch nie, wie ist dein erster Eindruck?
Tobias: Der erste Eindruck ist tadellos! Ich bin hier eben, als ich ein wenig Freizeit hatte, schonmal über das Gelände flaniert und hab mir ein paar Bands angeschaut. Die Leute sind alle sehr sympathisch, machen zumindest den Eindruck. Ein sehr friedliches kleines Festival.
Kommen wir direkt zur Musik… Welches Pferd ist mit „My Horse Likes You“ gemeint?
Tobias: Ich hab keine Ahnung! Es ist das Pferd, auf das du dich setzen magst. Einmal ist es ein richtiges Pferd, ein anderes Mal steht es für den Zirkus, das Leben, oder den Rest der Welt… Das sieht ja jeder anders.
Kommen wir direkt zur Musik. An einer Stelle zieht ihr die Band MGMT auf… Denkst du, da folgt eine Rache von deren Seite?
Tobias: Das kann ich nicht einschätzen. Aber nur so viel: Dieser Schachzug war ja bereits unsere Rache an MGMT. That’s it.
Habt ihr euch passend zum neuen Album auch bühnentechnisch etwas Abgefahrenes ausgedacht?
Tobias: Bei uns geht es doch immer ziemlich abgefahren zu. Ganz egal, ob da nun ein neues Album in den Startlöchern steht oder nicht, wir denken uns immer etwas Neues aus, wenn uns danach ist. Ich hab da auch nicht immer unbedingt den Einfluss drauf. Ich steh vorne am Bühnenrand und meine Zirkustruppe kann komplett freidrehen, ohne dass ich davon wirklich was mitbekomme! Das ist ja auch das Spannende. Aber okay, eine Sache ist schon durchdacht: Für den Song „Computer In Love“ lassen wir einige Leute mit Computerbildschirmen auf dem Kopf herum rennen.
Deine Texte sind ja schon ziemlich parolenhaft und ein Satz ist zitierenswerter als der Nächste. Wie schreibst du Texte? Passiert das alles im Bus auf Tour, oder schließt du dich dafür zuhaus im stillen Kämmerchen ein?
Tobias: Also ob LSD oder Barbecue? Es ist eine Mischung aus beidem. Ich hab immer ein Buch dabei, hier in meiner Fernglastasche, die ich immer bei mir trage. Die kann mir niemand entreißen, die ist immer bei mir. Auch auf Toilette oder wenn ich schlafe! Und dort schreib ich alles rein, was mir über den Weg läuft. Wenn du jetzt etwas Lustiges sagen würdest, würd ich dir das sofort klauen und hier rein schreiben. Und wenn ich dann in der stillen Kammer sitze, hol ich dieses Buch hervor und schaue nach, was ich oder jemand anders wann, wo und wie gedacht oder gesagt hat. Und dann kann ich mich emotional in den Moment zurückversetzen und daraus einen super Song schreiben. Das war schon das ganze Geheimnis! Krass, oder?
Aber wie geht es dir live damit, wo ja viele schon nur da sind, um ihren Spaß zu haben und nicht eine Sekunde auf die Texte achten. Denkst du dir dann nicht auch: ‚Ey Leute, hört doch einfach mal ne Minute zu‘?
Tobias: Nee, das ist okay. Die Leute die hinten stehen sind zum Beispiel meistens ruhiger und hören dann schon aufmerksam zu. Da könnte ich dann genauso sagen: ‚Ey, ihr da hinten, tanzt doch mal, hört doch nicht nur zu‘! Solang das Publikum als Gesamtheit sowohl schwitzt und tanzt und sich verausgabt, wie auch zuhört, denkt und mitsingt, bin ich damit schon happy. Ich glaube, wenn das einseitig werden würde, hätte ich damit viel eher ein Problem. Wenn es nur noch betrunken und Ballermann oder nur noch intellektuell mit einem Stock im Arsch gibt, das wäre bedenklich. So wie es derzeit ist, ist es doch super. Darum geht es doch am Ende auch. Dass man nicht nur dies ist oder das ist, sondern dass man sich fallen lässt und das, was man tut – egal, was es ist – möglich intensiv tut. Der Mensch darf morgens das Eine sein abends das Andere. Es ist in jedem Aspekt etwas Tolles drin.
Euer Song „Computer In Love“ macht ja auf das Problem Internet aufmerksam. Wie schnell man sich in dieser Welt verlieren kann und wie schnell man davon abhängig wird. Wie stehst du selbst zum Internet? Als Band pflegt ihr ja Myspace, Facebook und alles…
Tobias: Nee, das machen wir nicht mehr. Kann man nach so einem Song ja nicht mehr tun. Es ist jetzt so: Wir schreiben kleine Briefchen, wo unsere aktuellen Statusmessages drinstehen. Und die schicken wir dann unserem Manager Sascha, der das für uns auf Facebook einträgt. Damit wir um Himmels Willen keinen Kontakt haben müssen mit Facebook.
[Sascha hat seinen Namen gehört und stößt dazu.]
Sascha: Auf diesen Briefen stehen aber auch keine Namen, das passiert alles anonym und ohne Absender!
[Sascha bekommt eine SMS.]
Sascha: Oh, neuer Brief!
Also doch per E-Mail…
Tobias: Klar… Dieses neue Album, was du in den Händen hältst, das ist wirklich breit und tief. Selbst wenn alle sagen, es klingt hohl, da ist extrem viel drin in den Aufnahmen und im Sounddesign. Vor 20 Jahren hätte es eine Million gekostet, so etwas aufzunehmen. Heutzutage mach ich das bei mir zuhaus in der Wohnung. Und das ist doch verrückt! Okay, der Computer kann kein Stil-, Charme-, oder Aussageproblem lösen. Du musst die Maschine noch immer füttern, es ist nur ein Mittel zum Zweck. Aber daher ist es klar, dass wir als Band den Computer brauchen. Wir sind durch Youtube bekannt geworden. Wir haben dem Internet so einiges zu verdanken. Auf der anderen Seite ist es doch total krank, wie wir alle kommunizieren und leben mit diesen Geräten.
Und wie sieht es bei euch als Bandmitgliedern persönlich aus, seid ihr da auch den ganzen Tag online unterwegs?
Tobias: Wir sind alle Computerjunkies, das ist doch klar. Wir kommunizieren alle nur noch über Mail oder in sozialen Netzwerken. Aber ich probiere derzeit, mich selbst daran zu erinnern, um was es doch eigentlich geht. „Computer In Love“ war der erste Schritt, sich das mal klar zu machen. Der Computer hat keine Gefühle, mit dir reden kann er auch nicht. Der Computer ist am Ende nur ein Tool für uns. Und wenn wir bescheuert werden, dann wird der Computer ein bescheuertes Tool. Will man wirklich so seine Tage verbringen? Ich verbring selbst auch viel zu viel Zeit vor der Kiste, aber ich versuch mich derzeit selbst wieder auf den richtigen Weg zu bringen, indem ich öfters telefonier, öfters einfach mal jemanden besuche, um mit dem zu sprechen. Das geht doch sowieso viel schneller, als wenn man hunderte Mails wechselt, um sich abzusprechen. Ich will auch wieder öfter zeichnen und ab und an einen Brief schreiben… Weißt du, Kommunikation ist in der heutigen Zeit einfach ziemlich schwarz/weiß gemalt. Man muss sich darüber wieder klar werden, dass der Computer zwar hilfreich ist, aber doch nur ein Mittel zum Zweck. Ich hab das alles ziemlich übertrieben. Ich erinner mich noch an meine erste E-Mail 1998, als ich in Amerika lebte. Da war es super und der einfachste Weg, schnell und günstig mit meiner Familie den Kontakt zu halten. Damals hat es sich auf so etwas konzentriert. Heute ist das Internet ja schon ziemlich durchgedreht. Das ist alles ziemlich Kafka-esque.
Auf dem Melt! Festival werdet ihr gemeinsam mit Modeselektor auftreten, was ja auch Sinn macht, da ihr in letzter Zeit öfters gemeinsam gearbeitet habt für Songs oder Remixe. Was darf man als Publikum denn jetzt erwarten, was da bei einem gemeinsamen Konzert passiert?
Tobias: Das ist eine sehr schöne Frage. Wir haben noch nicht geprobt, aber wir waren schon einmal zusammen im Fitness Center. Nur so zum Spaß, wir haben dort nicht Fitness gemacht. Und genau dort haben wir gesprochen darüber, was auf dem Melt! passieren könnte. Und wir kamen zu der Schlussfolgerung, dass es wild wird, laut, viele Bässe hat und sägende Gitarren. Ich krieg ein Mikrofon. Und wer danach noch vernünftig laufen kann, der hat irgendwas falsch gemacht. Was schon steht: Wir werden „Anti Anti“ zusammen performen, den „Computer In Love“ Remix und ich werde „Hyper Hyper“ von Scooter singen müssen. Ich muss mal den Text lernen…
Ist nicht so schwer: ‚Are you reaaady…‘
Tobias: ‚…to sweat!‘ – Ja, genau. Krieg ich hin. Ist ja fast so wie „Gigolo Vagabundo“, das passt. Yeppa yeppa, hyper hyper! Aber ansonsten wissen wir auch noch nicht wirklich, was passiert. Wir werden uns was Schönes ausdenken.
Und ist das eher eine einmalige Aktion, oder denkst du, ihr macht sowas noch öfter?
Tobias: Keine Ahnung. Alles, was danach passiert, ist noch Wunschdenken.
Eine letzte Frage passend zum Festival: Was findest du immer gut?
Tobias: Das Immergut finde ich immer gut! Ich kenn es noch nicht lange, aber es ist sehr sympathisch. Ansonsten finde ich es immer gut, wenn ich von alleine erwache, ohne dass mich ein Geräusch von draußen oder von der Wohnungstür oder irgendein elekronisches Gerät dazu bewegt hat, wach zu werden. Wenn das auf ganz natürliche Weise von alleine geschieht. Wenn ich meine Augen öffne, mich strecke und sagen kann ‚Aahh.. Ich bin ausgeschlafen‘ – Dieser Moment, der viel zu selten vorkommt… Den finde ich immer gut!
Das können wir so unterstreichen! Danke für das Interview!
Tobias: Lieben Dank, immer wieder gern!
Fotos vom Auftritt beim Immergut nach dem Interview.
Unsere Rezension von „My Horse Likes You“.
Unser Interview mit Bonaparte aus 2008.