Der Titel, „An Awesome Wave“ (2012), spricht Bände, denn nichts anderes war das Debüt von Alt J: eine atemberaubende, unaufhaltsame Welle aus 14 ausnahmslos grandiosen Songs, die über uns hereinbrach und jeden einzelnen von uns mit sich riss. Nun legt das Quartett aus Leeds mit „This Is All Yours“ nach, und wieder spricht der Titel der Platte für sich, da bereits die ersten beiden Veröffentlichungen – „Hunger Of The Pine“ und „Every Other Freckle“ – derart einnehmend sind, dass man kaum eine andere Wahl hat, als auf der Welle mitzuschwimmen.
„An Awesome Wave“ ist ein komplex arrangiertes Klangspiel aus Folk-Versen, ausgefeilten Synthieklängen, der Falsettstimme Joe Newmans, aufregenden Instrumentaleinlagen und choralen Gesangsharmonien, mal schwermütig („Tesselate“), mal leichtfüßig („Breezleblocks„), mal gelassen („Something Good“), mal ruhiger („Matilda“), mal tiefgründig („Fitzpleasure“). Es rollt an, bäumt sich auf, reißt mit, zieht in eine vierzig-minütige Hypnose mit, aus der man erst wieder erwacht, als es mit allerletzter Kraft abebbt, verschwindet und einen in großem Erstaunen zurück lässt.
„Hunger Of The Pine“ , das erste, was Alt J zwei Jahren nach dieser fulminanten Plattevon sich hören lassen, scheint die Wiedergeburt des mit dem Mercury Prize 2012 gefeierten Debüts zu sein, denn in dem Stück vereinen sich der altbekannte schwermütig-melancholische Puls, die fast unnatürlich Hohe Stimme Joe Newmans und mehrstimmige, summende Backgroundmelodien mit dem verschwörerischem, „I’m a female rebel“ verlautenden Frauengesang, der übrigens bravourös aus dem Miley Cyrus-Song „4×4“ gesampelt ist. Scheinbar passend dazu, kommt das Video als „The Hunger Games„-Referenz daher.
Diese gewisse Experimentierfreudigkeit der Band beweist sich auch in anderen Songs auf „This Is All Yours“. So wurde neben „Hunger Of The Pine“ nicht nur auch „Bloodflood pt.II“ – das seiner besseren Hälfte mit dem herrlich gleichgültigen Gesang Newmans und schweren Tuba-Tönen noch Sahnehäubchen und Kirsche oben aufsetzt -, aus Samples gefertigt, sondern auch aus erstmals programmierten Schlagzeugrhythmen zusammengesetzt.
„This Is All Yours“ hat etwas von einer Wundertüte, entdeckt man doch noch so einiges mehr, mit dem man nicht gerechnet hatte. „Every Other Freckle“, die zweite Veröffentlichung der Platte, ist so ein Song. Nicht nur, dass es für den Song eine Boys– und eine Girls-Edition gibt, auch die gewagte, aber eingängige Flötenspielerei, die aus einem Kinderlied gesampelt sein könnte, dürfte überraschen.
Genauso die Tracks „Arrival in Nara“, „Nara“ und „Leaving Nara“, die eine Hommage an die süd-japanische, Rehe verehrende Stadt Nara sind, entpuppen sich, jeder für sich, als bis ins kleinste Detail ausgetüftelte Klangspiele. Während „Arrival in Nara“ ein sanftes Gitarrenstück ist, dessen kryptischen Text Newman beinahe vor sich hin säuselt, schließt sich „Nara“ dem nur für wenige Sekunden an, um sich beinahe unvermittelt zu einem beschwingenden Glockenspiel zu entwickeln, nach dessen Lyrics man lieber nicht fragen sollte („Love is a pharaoh and he’s boning me“?). Und zuletzt „Leaving Nara“, das allen Minimalismus seiner Vorgänger mit explodierenden Synthie-Drums und -Keyboards platt macht.
„Warm Foothills“ tanzt dann völlig aus der Reihe, hört man in dem Folksong doch nicht nur Newman, sondern Conor Oberst, Sivu and Lianne La Havas singen, säuseln und pfeiffen. Da fällt es nicht mal auf, dass im Januar 2014 Gwil Sainsbury die Band ohne Bassisten und nur noch zu dritt (Achtung Witz: was ja auch mehr der Form eines Triangles ähnelt) zurück lässt.
Von A wie adagio über K wie Kirchenglocke, V wie Vogelgezwitscher bis Z wie Zither, bei Alt J ist scheinbar alles möglich, denn Alt J können sich scheinbar alles erlauben. Wenn „An Awesome Wave“ eine alles und jeden mit sich reißende Welle war, ist „This Is All Yours“ ein tiefer,grüner Wald, einerseits mit düsteren Ecken und dicht bewachsenen, bewucherten, mannshohen Bäumen, andererseits mit auf einer Lichtung friedlich grasenden Rehen und Kräuter sammelnden Mädchen – und wer weiß, was noch. Man muss auch diese Platte schon mehrmals hören, um alle Nuancen aufzudecken. Man kann ja wie gesagt auch gar nicht anders.
Am 1. Oktober 2014 präsentieren Radio Eins, Spotify und Electronic Beats ein exklusives, intimes Konzert der Jungs im Berliner Lido, für das es Tickets nur zu gewinnen geben wird, u.a. beim deutschen Label [PIAS] Cooperative. Wer nicht unter den mehr als glücklichen Gewinnern eine dieser Karten ist, muss sich bis Februar 2015 gedulden, wenn Alt J offiziell eine Runde in Deutschland drehen:
07. Februar 2015 – Offenbach, Stadthalle
08. Februar 2015 – Köln, Palladium
09. Februar 2015 – Hamburg, Docks
11. Februar 2015 – Berlin, Columbiahalle
17. Februar 2015 – München, Zenith
Wer nach all dem Lobgesang nicht bis zum 19. September warten will – oder kann -, kann bereits vorab in „This Is All Yours“ reinhören. Dafür haben Alt J in Zusammenarbeit mit BLAST Technology eine App für Android und iOs entwickelt, mit der man die Platte jetzt schon – allerdings nur an ausgewählten Orten – streamen kann. Welche Orte das sind, gibt’s hier zu sehen.
VÖ: „This Is All Yours“ erscheint am 19.September 2014 via Infectious Music / PIAS Cooperative.