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Hurricane Festival 2009

Hurricane/ Grüne BühneEs bedarf keiner expliziten Erwähnung, dass der Wettergott den Besuchern des diesjährigen Hurricane Festivals vom 19.-21. Juni, wie in den Jahren zuvor, erneut wenig wohlgesonnen war. Wir besinnen uns aufgrund dessen, auf das Essentielle des vergangenen Wochenendes: das Musikalische. Durch Sturmböhen sowie sintflutartige Regenfälle lässt sich schließlich längst kein Festival-Gänger mehr in die Flucht schlagen und bereuen sollte die geneigte Hörerschaft ihr Ausharren vor den Bühnen keinesfalls.

Eine kleine Randnotiz, das Wetter betreffend, sei an dieser Stelle dennoch gestattet, da der Himmel bereits während unserer Anreise in das norddeutsche Scheeßel, oder korrekterweise den Scheeßeler Ortsteil Westervesede, derartig seine Pforten öffnete, dass wir befürchteten, sämtliches Inventar des Festival-Dorfes könnte uns entgegen schwimmen. Dem war jedoch glücklicherweise nicht so.

Für die organisatorische Arbeit des Festival-Teams können wir bereits vorab des Musikalischen nur lobende Worte finden. Ausreichende Beschilderung, kurze Wartezeiten an den Kassen und vor allem zu bewältigende Wegstrecken von den Park- zu den Campingplätzen gestalten die Anreise erträglich. Zu dem kostet der halbe Liter eines Bremer Markenbieres an ausgwählten Getränke-Ständen auf den Zeltplätzen lediglich 1 Euro. Auf diese Weise werde Müll und Pfand-Verlust seitens der Festivalbesucher reduziert, so die Organisatoren. Ein Ansatz, der sich als plausibel und begrüßenswert erweist.

Scheeßel frohlockte Zeit unserer Ankuft mit Sonnenschein, welcher zunächst auf den Bus eines berühmten Energy-Drink-Fabrikanten fiel. Die auf dem Dach des Busses befindliche Bühne erklommen um 15 Uhr und somit zu Beginn des Hurricane die Dresdner von Polarkreis 18, die beabsichtigten an jenem Tag ein überraschendes Gastspiel auf einem der Campingplätze zu geben. Der Auftritt dauerte jedoch nur kurze vier Songs, bis die Formation um Sänger Felix Räuber während des Versuches ihren Chart-Erfolg Allein, Allein zu intonieren, durch kräftig einsetzenden Wind und Regen fast vom Dach ihres Busses gepustet worden wäre.

Um 16 Uhr haben sich die Wetterverhältnisse weitesgehend beruhigt und die erste Band auf der Hauptbühne zieht an uns vorrüber. The Horrors wissen dabei, ob ihres komplett verwaschenen Klangs leider nicht zu überzeugen.
Dies gelingt den Schweden Johnossi, die von der jungen britischen Band übernehmen, auf Anhieb. Das Duo setzt die bereits zahlreich erschienene Zuschauerschaft, welche äußerst textsicher wirkt, erstmals in Bewegung. Wir konstatieren einen äußert energetischen Auftritt und ereignisreiche 45 Minuten. Die darauf folgenden The Sounds treffen demnach auf ein euphorisiertes Publikum, reiten auf dieser Welle wirken dennoch im Zusammenspiel wenig ausgegoren. Ganz im Gegensatz zu den Editors, die einen formidablen Auftritt spielen. Große Gesten und dazu affine Musik, allem voran ein donnerndes „Munich“, verzücken gänzlich.

Franz Ferdinand erreichen während ihrers Konzerts, den Status des heimlichen, abendlichen Headliners, welchen sie sich durch eine überragende Show erarbeiten. Die Schotten wirken präzise aufeinander abgestimmt und präsentieren sich in einer schwebenden Leichteigkeit. Das kontrastreiche Set enthält selbstverständlich Klassiker wie „Do You Want To“, „Take Me Out“ und gar das eröffnende „Dark Side Of The Matinee“. Alex Kapranos kommt aus dem für ihn so sympathischen Lächeln gar nicht mehr heraus, das Publikum dankt mit frenetischem Beifall und Zugaben-Rufen, die leider bei einem Festival recht zwecklos erscheinen.

Kings Of LeonLeider können die mit Spannung erwarteten Kings Of Leon die Darbietungen von den Editors oder von Franz Ferdinand nicht wirklich übertreffen. Zwar ist die Musik des Quartetts über jeden Zweifel erhaben und dem entsprechend auch die Auswahl der Songs, die aus sämtlichen vier Alben zusammen gestellt ist. Jedoch wirkt die Familie Followill an diesem Abend nicht nur zurückhaltend, sonder gar gelangweilt. Caleb Followill bedient sich phrasenhafter Ansagen, stellt fest, dass die Zuschauer aufgrund eines langen, sonnigen Tages (Anm. d. Red. nicht wirklich) wohl zurecht müde seien und wolle dennoch das Blut in Zirkulation versetzen. Bei „Sex On Fire“ gelingt dies auch hervorragend, andere Stücke wie „Fans“ werden anfänglich bejubelt, fliegen anschließend allerdings fast wirkungslos vorrüber. Der Funke will einfach nicht überspringen und es scheint geradezu so, als wäre das dem Brüder-Trio und ihrem Cousin aus Nashville auch gar nicht so wichtig. Es fehlt die Begeisterung ihreseits nachts auf einer Bühne vor 60 000 Menschen zu stehen. Wir können nur darüber spekulieren, ob es den Herren nach ihrem letztjährigen Headline-Slot beim englischen Glastonbury vielleicht an Motivation für ein in der Größenordnung unwesentlich kleineres deutsches Festival haperte. Nach 60 Minuten bedankt sich Sänger Caleb, bei dem seiner Meinung nach fantastischem Publikum, was wie zuvor überzogen floskellhaft klingt. Und dennoch müssen wir einen gelungenen Auftritt der Kings Of Leon konstatieren, der rein musikalisch keinesfalls enttäuschte. Lediglich etwas mehr Euphorie seitens der Band wäre wünschenswert gewesen.

KraftwerkJene Euphorie können und wollen wir von der Legende Kraftwerk indes nicht erwarten. Die vier Düsseldorfer stehen gemäß ihres Credos regungslos hinter ihren Synthesizern und dennoch ist ihre Darbietung mit dem schlichten Hören ihrer Platten nicht vergleichbar. Spannung liegt in der Luft, über die Video-Bildschirme links und rechts der Bühne flackert die neue visuelle Untermalung des Konzerts und das Klangbild dieser revolutionären Band wikt druckvoll und zugleich schwerelos. Die äußeren Umstände liefern zu dem den perfekten Rahmen für eine einzigartige Show. Wir genießen die höchstwahrscheinlich weltweit einflussreichste deutsche Band.

Der Samstag Morgen wartet erneut mit dunklen Wolken sowie episodenhaften, mehr oder weniger intensiven Regenfällen auf. Wir finden uns vor der blauen Bühne ein und erwarten mit Freude The Rakes, welche einen begeisternden Auftritt spielen. Sowohl eine der besten Set-Lists des gesamten Festivals, als auch das Auftreten der Briten besticht. So wirkt die Band trotzt früher Stunde gut ausgeschlafen und lässt sich auch durch den immer stärkeren Regen nicht irritieren. Eher im Gegenteil, nutzt Sänger Alan Dohnohoe diesen äußeren Umstand für gewitzte Ansagen und stellt auf diese Weise sein Talent als Entertainer unter Beweis. Tänzerisch gibt es ohnehin wenige Sänger, die dem am heutigen Tag in Hemd mit schmalem Schlips und schwarze Hose gewandeten Dress-Man das Wasser reichen können.

Blood Red Shoes verbreiten ebenfalls positive Stimmung, wirken allerdings in gewissen Situationen überheblich. Der Auftritt des Duos beträgt schlussendlich lediglich 30 anstatt der veranschlagten 45 Minuten. Dennoch scheint das Gros der Zuschauer zufrieden.
The WombatsDiese Stimmung steigert sich bei der folgenden Band immens, denn es stehen wie bereits im letzten Jahr zum fast gleichen Zeitpunkt die drei Herren von The Wombats auf der Bühne. Der Auftritt des Trios wirkt fast wie ein Heimspiel, nicht grundlos bezeichneten die Liverpooler ihr letztjähriges Gastspiel in Scheeßel als eines ihrer besten des gesamten Sommers. Extatisches Mitsingen und -klatschen begleiten altbekannte Songs wie „Moving To New York“, „Kill The Director“ und „Let´s Dance To Joy Division“. The Wombats haben jedoch ebenfalls zwei neue Lieder des demnächst erscheinenden Albums im Petto, die im Auditorium nicht minder mit Applaus bedacht werden. Zusammengafasst, erweist sich das Konzert der Formation um Sänger und Gitarrist Matthew Murphy als schweißtreibende und äußerst stimmungsvolle Angelegenheit. So wie wir The Wombats nunmal kennen und schätzen.

Ein Auftritt der also für den nachfolgenden Paolo Nutini schwer zu übertreffen ist. Es bleibt Raum für Mutmaßungen, ob der Schotte zumindest sein Gefühlsleben durch etwaige Substanzen ein wenig aufgepeppt hat. Musikalisch trifft Singer/Songwriter auf Dixie-Land, Blues auf Country und all das in einem steten poppigen Gewand. Die Songs des Liedermachers sind gleichermaßen facettenreich sowie detailliert in das Kostüm eines konzeptionierten Songs verpackt.

Eine gänzlich andere Philosophie diesbezüglich praktizieren The Mars Volta auf der Hauptbühne, was das Konventionelle ihrer Musik anbelangt. Das Kollektiv erfreut sich 75 Minuten Spielzeit, die nicht einmal den Pixies eingeräumt wurden und beweist, dass es diese Spielzeit auch denkbar denkbar leicht füllen kann. Insgesamt spielt das launische Sextett acht Songs, davon ein Lied vom jüngst erschienenen Neuling. Die Amerikaner wirken agil und außerdem musikalisch hochklassig im Einzelnen sowie im Zusammenspiel. Das Ende bildet ein 20-Minuten-Song-Monstrum. Ein absolut sehenswerter Auftritt.

Im Zelt schlägt Joshua Radin leisere Töne an und kämpft akustisch gegen die paralell auf der blauen Bühne spielenden Fleet Foxes, die an diesem Abend ungewohnt lärmend daher kommen. Die Zuhörer stört dies hingegen wenig, während Joshua Radin mittels seiner warmherzigen Stimme seine Stücke vorträgt. Dieser Mann wirkt sympathisch und vor allem erfreut, seine Songs einem gebannt lauschendem Publikum präsentieren zu dürfen. Es herrscht eine Harmonie, die von keinem der Konzerte des Festivals überboten werden kann.

Faith No MoreDie anschließend auf der kleinen Bühne folgenden Portugal. The Man geben sich eher wortkarg, was die Qualität ihres Auftritts in keinster Weise mindert. Vielmehr verstehen es die aus Alaska stammenden Musiker sämtliche Songs ihres Sets zu einem nicht enden wollenden Klangbild zu verquicken, sodass die eigentlich für diese Band viel zu kurzen 45 Minuten äußerst erfüllend wirken. Dass Sänger John Gourley bei dem vom Publikum geforderten „The Devil“ nach der ersten Strophe den komplexen Text vergisst und dies mit der längeren Nicht-Berücksichtigung des Songs begründet, stört wenig, da die Band statt dessen ein anderes Stück intoniert.

Bei Get Well Soon ist das Zelt zum Bersten gefüllt. Das Mannheimer Wunderkind samt Band überzeugt auf der für die Musiker fast zu kleinen Bühne während auf der großen Bühne die widervereinigten Faith No More mittels ihrer rastlosen Light-Show den Nachthimmel über Scheeßel erhellen. Nicht komplett in original Besetzung erschienen, spielen die Alternativ-Helden dennoch ein energetisches Konzert.

Am Sonntage eröffnen die Lokalmatadoren von Everlaunch das Programm auf der blauen Bühne und spielen bei strahlendem Sonnenschein erstmals auch einige Stücke ihres im Juli erscheinenden neuen Albums.
Die Musiker von Lovedrug scheinen leider nur wenige Besucher zu interessieren. Und somit spielt das Quartett vor lediglich wenigen hundert Zuhörern. Der gefühlvollen Musik tut dieser Umstand glücklicherweise keinen Abbruch. Im Gegensatz zum Album, präsentiert die Formation ihre Songs in einem durchaus tanzbaren Gewand.

Tanzbar ist die Musik von Gogol Bordello die um 15.20 Uhr die grüne Bühne entern ohnehin. Gypsy-Punk, Ska, Akkordeon-Rock, oder wie auch immer man die Musik der Zigeuner bezeichnen möchte, dieses vielköpfige Kollektiv verleitet sein Publikum umgehend zum Tanzen. Auf Ansagen wird gänzlich verzichtet, werden diese zur Kommunikation mit dem Publikum offensichtlich nicht benötigt.

Es folgt das britische „Enfant Terrible“ Lily Allen, die einfach allen ihren Kritikern den Stinkefinger entgegen reckt und mehrfach fuck you ins Mikrofon säuselt. Das Publikum lässt sich dabei nicht lange bitten und binnen weniger Sekunden schnellen einige tausend Mittelfinger gen Himmel. Diese Szenerie umschreibt den gesamten Auftritt der kleinen Britin recht gut. Sie flucht, trinkt, raucht und wirkt dennoch kokett und liebenswürdig.

Die Jungs von Keane fahren indes eine gegensätzliche Linie, bedanken sich bereits nach dem ersten Song artig bei den Organisatoren sowie beim Publikum und kosten jede Sekunde des Jubels aus. Es scheint, als wären die Briten wirklich glücklich, ob des Umstands an diesem Nachmittag in Scheeßel auf der Bühne stehen zu dürfen. Dem entsprechend spenden die Besucher gerne langanhaltenden Applaus und verfolgen darüber hinaus einen sehr publikumsnahen Auftritt des Quartetts.

Fettes BrotWas jedoch im Anschluss stimmungstechnisch passiert, übertrifft das Vorherige um Längen. Fettes Brot beginnen um 21.00 Uhr mit „Jein“ ihr Heimspiel und lassen keinen Zweifel daran, in welche Richtung der Auftritt des Hamburger Trios zielen soll. Unterstützt von ihrer Backround Band Das Nervenkostüm spielen die „Brote“ ein Hit-Portfolio gespickt mit einigen Songs ihres neuen Albums. „Wenn ihr morgen aufwacht, will ich, dass das erste was ihr zu der neben euch liegenden Person sagt: Das Konzert von Fettes Brot war geil!“, ruft Björn Beton den 70 000 entgegen. In diesem Sinne bearbeiten die drei Zeremonienmeister die Bühne und animieren permanent das Publikum, welches gehorsam folgt, Lieder wie „Schwule Mädchen“ und „Emanuela“ mitgrölt, überschwänglich klatscht und nicht müde wird die in der prächtigen Stimmung badenden Hamburger zu feiern. Nach 60 Minuten verlässt die Band die Bühne, um kurz darauf für zwei weitere Songs zurück zu kehren. „Bettina, Pack Deine Brüste Ein“ und „Nordish Bei Nature“ beenden den Selbstgänger von Fettes Brot.

Diesem Zustand kann nur noch ein berliner Trio die Krone aufsetzen: Die Ärzte. Eigens für Farin Urlaub, Bela B. und Rod Gonzalez wurde der Headline-Slot um 30 Minuten verlängert, damit das Trio sich in der Auswahl seiner Gassenhauer nicht allzu stark einschränken muss. Von einem schwarzen Banner mit der Aufschrift „Achtung Jazz“ verhüllt, werden Die Ärzte vom ersten ihrer Töne an gefeiert. Würde es die Band darauf anlegen, müsste sie keine Zeile selbst singen, so lauthals und textsicher präsentiert sich das Publikum. All die Erschöpfung und Strapatzen des Wochenendes scheinen für diese zwei Stunden vergessen. Es zählt nur, die selbsternannte beste Band der Welt zu feiern. Dabei stört es wenig, dass die Band bei ihrer letztjährigen Tournee wohl besser eingespielt war und nicht jeden Ton trifft. Das Publikum will unterhalten werden und das können die drei Herren vorzüglich.
Farin Urlaub entrinnt dabei ein nahezu poetischer Satz, den wir sinnbildlich auf das gesamte Festival-Wochenende übertragen möchten: „Ich glaube die Leute wollen nicht viel Gelaber, sie wollen einfach Rock-Musik!“
Ob es regnet oder stürmt, letztendlich sind die wetterlichen Umstände nebensächlich. Die Menschen kommen um zu feiern und vor allem der Musik wegen.

Wir können resümieren, dass die Besucher erneut ein imposantes Festival in Norddeutschland erlebt haben. Fast sämtliche Bands konnten überzeugen, einige davon spielten gar unvergessliche Konzerte. Die Stimmung unter den Menschen schien weitesgehend friedlich und auch die kommunikative und freundliche Security soll lobend erwähnt werden. Somit freuen wir uns bereits auf das nächste Jahr, egal ob bei Sonnenschein oder höchstwahrscheinlich Regen.

Zuschauer

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