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IAMX im Interview

IAMX. Das Projekt von Chris Corner, dem Sänger der ehemaligen Sneaker Pimps. Er hat im Mai diesen Jahres mit „Kingdom Of Welcome Addiction“ sein bereits drittes Album herausgebracht und den Eindruck fundiert, dass er seine Musik mit Leidenschaft macht. Doch was treibt ihn an? Was beschäftigt ihn? Und nicht zuletzt: Wie geht es mit IAMX weiter und wie verlaufen die Konzerte aktuell? Um all diese Fragen zu beantworten trafen wir uns mit Chris Corner vor seinem Konzert in Hamburg zu einem persönlichen Gespräch.

Heute Abend ist dein letztes Deutschland-Konzert hier in Hamburg. Wie war die Tour?

Chris: Überraschend gut. Wir haben schon eine Weile nicht mehr in Deutschland getourt und ich hatte viel weniger Erwartungen an die Shows gehabt. Deutschland ist eigentlich kein leichtes Land zum Touren, ähnlich wie England. Anfänglich spielt man in kleinen, beschissenen Clubs und wird schlecht behandelt. Aber es lief wirklich gut diesmal, die Shows waren stets schön besucht und wir haben dem Publikum alles gegeben, was ins uns steckt. Es war wirklich so, dass wir jeden Abend richtig Lust hatten, das wieder zu tun und dem Publikum wieder zu zeigen, wer wir sind und was IAMX bedeutet. Fühlt sich an, als hätten wir es einen Schritt weiter geschafft dieses Mal.

Ich hab auf Youtube ein Video gesehen, in dem du die Tour ankündigst und sagst, dass Deutschland einen musikalischen Arschtritt nötig hat. Warum denkst du so?

Chris: Oh, ja! Ich denke jedes Land hat einen Arschtritt nötig, nicht nur Deutschland. Aber ich wollte mit dem Video eben vor allem die Deutschen ansprechen, da ja eine Deutschland-Tour vor der Tür stand. Das Video an sich ist natürlich eher witzig, aber den Gedanken dahinter sollte man noch erläutern: Ich glaube, dass fast jeder Kultur ein bisschen mehr unabhängiges Denken gut tun würde. Ich richte mich damit an alle Leute, die ein bisschen alternativ sind und nicht immer mit dem Strom gehen, so wie du mit Sicherheit auch. Du hast dir das Video ja angeschaut, es hat dich interessiert. So war das gedacht, dass Leute, wie wir es sind, sich besser repräsentiert fühlen können in der Gesellschaft.

Heute Abend spielst du im Grünspan, was ein Club mittlerer Größe ist. Was gefällt dir generell mehr: Große Hallen oder kleinere Venues?

Chris: Das kommt immer ganz drauf an, in welcher Stimmung ich bin. Generell finde ich die Intimität kleinerer Clubs anziehender. Wenn man in so großem Rahmen spielt fehlt mir der Kontakt zum Publikum, den ich sonst gerne herstelle. Wenn man auf Festivals spielt, ist das noch was anderes. Daran gefällt mir diese anarchische Stimmung, das Chaotische, das Kopflose. In solchen Fällen macht es Sinn, auf großen Bühnen zu stehen. Aber wenn ich eigene Konzerte gebe und die Menschen wegen meiner Musik dahin kommen, dann mag ich es, wenn es persönlicher ist. Ich genieße die Nähe zu den Besuchern und die Wärme, die entsteht. Das ist mir sehr wichtig.

Du lebst ja nun schon seit längerer Zeit in Berlin, bist aus London weggezogen. Gefällt dir Deutschland, oder ist es nur die Stadt, die dich in ihren Bann gezogen hat?

Chris: Ich weiß gar nicht so viel über Deutschland, ehrlich gesagt. Es ist wirklich nur Berlin, das mich gepackt hat. Berlin ist einzigartig. Es fühlt sich für mich so an, als ob die Stadt eine Oase mitten im Land ist und ganz anders ist als der Rest von Deutschland. Wie ein kleines eigenes Land. Aber ich interessiere mich auch zunehmend für den Rest des Landes und das ist auch einer der Gründe, warum die Tour für mich so aufregend war. Ich konnte mehr vom Land kennenlernen und entdecken. Nichts desto trotz ist Berlin der beste Platz für mich, nicht nur im deutschen Kontext, sondern auf der gesamten Welt.

Du kannst ja inzwischen auch schon ein wenig Deutsch sprechen. Könntest du dir denn vorstellen, auch mal einen Song auf Deutsch zu machen?

Chris: Das wäre eine wirklich interessante Geschichte. Vor der Tour hab ich darüber sehr intensiv nachgedacht. Das wäre nämlich auch eine gute Möglichkeit, mich mehr mit der deutschen Kultur zu beschäftigen und nicht zuletzt auch eine Herausforderung an meine derzeit noch ziemlich mageren Deutschkenntnisse. Ich liebe Brecht und sonstige Schriftsteller vergangener Tage, aber bin selbst natürlich noch weit von einer solchen Sprachkunst entfernt. Mir fehlt derzeit leider wirklich die Zeit, mich da mehr reinzuhängen und die Sprache weiter zu lernen. Aber wenn ich tatsächlich einen deutschen Song schreibe, würde das mich natürlich zwingen, mich mehr damit auseinanderzusetzen, das wäre ein lohnenswerter Nebeneffekt.

Dein Künstlername, IAMX, bezieht sich das eigentlich auf den Albumtitel „Becoming X“ aus Sneaker Pimps-Zeiten?

Chris: IAMX bezieht sich auf eine ganze Menge. Einmal das, was du sagtest. Das ist die Verknüpfung zu meiner Vergangenheit. Aber insgesamt ist der Name doch sehr weit dehnbar, darum hab ich ihn auch gewählt. X ist eine Variable und kann alles zu jeder Zeit für jeden bedeuten. Auch für mich selbst bedeutet das andauernd unterschiedliche Sachen. Manchmal heißt es für mich Kunst, manchmal Gefühl, manchmal Heimat und manchmal etwas ganz anderes. Der Name reflektiert einfach sehr gut meinen chamäleonartigen Charakter und meine Sehnsucht danach, immer weiterzumachen und immer weiter zu gehen, wohin auch immer.

Dein letztes Album „Kingdom Of Welcome Addiction“ kam im Mai heraus. Hast du schon Zeit gefunden, neue Songs zu schreiben?

Chris: Ja, es gibt schon neue Songs. Es ist jedes Mal so, dass, wenn ich ein Album veröffentliche, ich sehr viele Ideen habe. Und so sind letztendlich immer noch fünf bis zehn Songs übrig, die ich für das Album nicht verwenden konnte. Und meistens bewahr ich die dann auf und wärme die Ideen nochmal an, wenn ich drüber nachdenke, ein neues Album zu veröffentlichen. Und das ist jetzt so weit, ich experimentiere bereits sehr viel herum und denke, dass es im Mai oder Juni nächsten Jahres fertig gestellt werden kann und hoffentlich dann bereits im Oktober veröffentlicht wird. Aber ich kann noch nicht abschätzen, in welche Richtung es geht. Derzeit sind es so an die zwanzig Songs, die ich miteinander kombiniere und auf dem Album landen dann ja meist nur so an die zehn Lieder.

Und wie triffst du die Entscheidung, welche Songs es auf eine Platte schaffen und welche nicht?

Chris: Die Entscheidung treffe ich nach Gefühl. Es ist ja keine offene Entscheidung, die da getroffen wird. Meine Plattenfirma redet mir da nicht rein und mein Management hat sich inzwischen auch schon damit abgegeben, dass ich sowas ganz allein entscheiden möchte. Also beschließe ich das ganz nach dem Gefühl, welche Songs funktionieren könnten, bzw. welche Songs für mich in dem Moment, wo ich die Entscheidung treffe, die richtigen sind. Es gibt auch noch hunderte von Ideen in meinem Kopf, die ich nicht so hingebastelt bekomme, dass da eigenständige Tracks draus werden. Manches werd ich wahrscheinlich bis zu meinem Tod nur im Geiste mit mir herumtragen.

Wenn du deine eigene Musik mit wenigen Worten andere beschreiben müsstest, was würdest du sagen?

Chris: Verschmutzt, chaotisch, aggressiv, aber auch emotional. Letzten Endes geht es um das Experiment, zwei komplexe Dinge miteinander zu vereinen. Das eine ist Melodie und Gefühl. Und das andere ist der technische Aspekt hinter der Musik. Das lässt sich am Beispiel festmachen: Wenn man die elektronischen Aspekte aus der Musik zieht, bleibt emotionales Songwriting über. Und wenn man sich die Texte wegdenkt, ist es so etwas wie Dancemusic, oder wie auch immer man es nennen will. Aber beide Faktoren sind voneinander abhängig und machen erst in Kombination IAMX zu dem, was es ist.

Du hast früher einmal Mathematik und Astrophysik studiert, aber hast das aufgegeben, um dich der Musik zu widmen. Gab es einen Moment in deinem Leben, wo du es bereut hast, das zu tun?

Chris: Nein. Ich hab den Gedanken auch noch nicht komplett über Bord geworfen und könnte es mir gut vorstellen, diese wissenschaftliche Seite von mir eines Tages weiter auszuschöpfen. Aber in gewissem Maße wird diese Neugierde auch durch die technischen Aspekte meiner Musik befriedigt. Die Art, wie meine Musik aufgebaut ist, ist extrem wissenschaftlich durchdacht. Zumindest, wenn man das assoziative Songwriting herausnimmt. Aber ich würde Mathematik gerne noch weiter erforschen. Mathematik in seiner abstrakten Form ist wunderschön. Ich rede hier nicht von der Praxis, die man in der Schule kennenlernt, sondern von dem ganzen abgefahrenen und ungewöhnlichen Kram, auf den man leider erst im Studium gestoßen wird. Ich hab mich wirklich nie sonderlich für Zahlen oder die praktische Verwendung von ihnen interessiert, die meist viel zu sehr in den Fokus gestellt wird, sondern für die Kunst dahinter. Mathematik ist wirklich sehr tief mit Kunst verbunden.

Eine letzte Frage: Hast du einen großes Ziel in deinem Leben, das du zu erreichen anstrebst?

Chris: Nein, ich denke, es ist gefährlich, ein einziges großes Ziel vor Augen zu haben. Man kann dann nur enttäuscht werden. Es ist gesünder, andauernd kleine Ziele anzustreben. Dann gewöhnt man sich daran, Fehler zu machen und gewöhnt sich an den Kummer, den man spürt, wenn man etwas nicht erreichen konnte. Aber man gewöhnt sich auf der anderen Seite ebenso langsam an das Gefühl, Erfolg zu haben. So dreht man nicht komplett durch. Um das auch auf mich zu beziehen: Ich habe inzwischen schon sehr viele von den Dingen erreicht, die ich mir erträumt hab. Aber ich steh nie abends vor dem Spiegel und denk mir, was für ein cooler Typ ich bin und wie beeindruckend das ist, was ich geschafft habe. Darüber will ich nicht nachdenken. Ich setze mir gleich ein neues Ziel. Ich denke darüber nach, was es noch zu erreichen gibt. Schritt für Schritt. Und ich hoffe, dass das nicht nur bei mir so ist, sondern in der Natur des Menschen liegt.

Wäre wünschenswert. Vielen Dank für das Interview.

Chris: Herzlichen Dank!


Unsere Rezension zu „Kingdom Of Welcome Addiction“.

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