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Miyagi Tourtagebuch Teil IV: Frankfurt, Köln, Dortmund

koeln1Während die Jungs von Miyagi ihren Tourbus wahrscheinlich grad in Hamburg entladen, werfen wir einen Blick zurück auf das vergangene Wochenende. Frankfurt, Köln und Dortmund standen auf dem Miyagi-Tourplan. Axel gewährt uns diesmal einen Einblick in die Sorgen und Gedanken einer deutschen Indie-Band.

VII. Frankfurt

„Weißt du wie schwer es ist, heutzutage als Indie-Band Erfolg zu haben? Es gibt zu viele von uns – und wir sind alle sooo süß. Und schafft man es nicht bis zu Letterman oder auf irgendso’nen scheiß Soundtrack, ist man am Arsch, okay? Satan ist unsere einzige Hoffnung. Wir sind jetzt mit dem Teufel im Bunde und müssen ihn mächtig beeindrucken.“
So lautet die Ansage von Bandleader Nikolai Wolf kurz bevor er sich gemeinsam mit seinen Bandkollegen von Low Shoulder dazu überwindet, den Körper der vermeintlichen Jungfrau Jennifer durch unzählige Messerstiche zu durchstoßen, um sie dem Teufel zu opfern. Zunächst lachen wir noch, als wir diese Filmszene während der Fahrt nach Frankfurt im Bandbus schauen, aber dann holt uns die Realität ein. So unrealistisch wie es für den ein oder anderen Zuschauer im Film Jennifer’s Body rüberkommt, ist die Angelegenheit dann doch nicht. Schließlich ist es in der Tat schwer, aus der ungeheuren Masse an Indie-Bands irgendwie herauszustechen. Allein bei Myspace, dem Portal für junge aufstrebende Bands, sind über eine halbe Million Bands verzeichnet, die als Musikstil Indie angeben. Wenn man jetzt noch die Schwammigkeit dieser Kategorisierung bedenkt und noch die über 800.000 Alternative-Bands hinzuzählt, kommt man schon auf circa 1,4 Millionen Bands. Die Dunkelziffer ist vermutlich noch weit höher, da viele Bands dann doch lieber behaupten, sie machen New Wave oder Visual Kei.
Und wir sind mittendrin in diesem Wirrwarr aus unzähligen Indie-Bands. Alle wollen einen Plattenvertrag. Alle wollen Auftritte. Alle wollen Ruhm und Erfolg. Alle wollen ein Stück vom Kuchen. Aber von dem Kuchen sind nur noch klitzekleine Krümelchen übrig geblieben, und an diese heranzukommen ist nicht gerade einfach. Auch wir versuchen immer wieder auf ein Neues, diese Krümelchen einzusammeln, die von Tag zu Tag immer kleiner werden. Doch irgendwann… schwupps ist der Kuchen weg. Letztendlich hilft da nur jede Menge Glück. Ansonsten muss man sich kriminellen Machenschaften hingeben oder eben den Pakt mit dem Teufel suchen. Naja, bisher lief bei uns alles ohne große Anstrengungen und mit viel Glück. Hin und wieder waren die Kuchenkrümel etwas kleiner, aber damit konnten wir leben solange wir satt wurden.
frankfurt-2Lange Rede, kurzer Sinn. Wir schaffen es hoffentlich auch ohne den Teufel und sind auf dem Weg nach Frankfurt. Der Film ist zuende. Die Band Low Shoulder wurde von der ehemals besten Freundin der Geopferten getötet, die dann allerdings auch irgendwie das Böse in sich trägt, sich an der Band rächt und so weiter. Das war’s. Wir fahren durch den Silent-Hill-Nebel des Main-Taunus-Kreises, der Laptop wird zugeklappt und über die Lautsprecher des Autos übertragen von Felix‘ MP3-Player erschallt Look at your Game Girl von Charles Manson. Abgesehen von Felix wussten wir alle nicht, dass er Musik gemacht hat.
Musik von Charles Manson anhören ist wie Kinderfotos von Adolf Hitler angucken. Total gruselig, aber im Unterschied zu Hitlers Speckwangen, ist die Musik von Charles Manson echt schön, so dass wir das Lied immer und immer wieder hören. Ohnehin haben wir eine seltsame Bindung zu ihm. Auf den Tag genau 37 Jahre nachdem Manson zum Tode in der Gaskammer verurteilt wurde unterzeichneten wir unseren Plattenvertrag. Und ausgerechnet heute, wo wir zum ersten Mal seine Musik hören, feiert Charles Manson in einem kalifornischen Staatsgefängnis seinen 75. Geburtstag – wovon wir allerdings nichts wissen. Vielleicht ist all das ein Zeichen dafür, dass wir uns tatsächlich dem Teufel zuwenden sollten. Nach dem Konzert in Frankfurt stellt sich die Frage danach zurecht. Nicht dass das Konzert schlecht oder die Zuschauer irgendwie unbefriedigt nach Hause gegangen sind, nein, aber irgendwie war die ganze Zeit über irgendwas da, das uns die Zeit in Frankfurt nicht gerade als schön erscheinen ließ. Wir wissen nicht, woher es kam und wohin es ging. Ob es vielleicht sogar wiederkommt? Egal. Was soll’s!? Morgen ist ein neuer Tag. Morgen geht’s nach Köln.

VIII. Köln

Heute fahren wir nach Köln. Wir treten in der Werkstatt auf. Insgesamt zum dritten Mal in der Werkstatt und zum sechsten Mal in Köln. Und wo wir schon mal bei Statistiken und Zahlen sind, bleibt noch zu erwähnen, dass wir während unser gesamten Tour in etwa ziemlich genau eine Strecke zurücklegen, die der Luftliniendistanz zwischen Münster der Japanischen Präfektur Miyagi entspricht. Was für ein Zufall!
Zufälle geschehen immer wieder. Vermutlich war es auch ein Zufall, dass wir ausgerechnet gestern am 75. Geburtstag von Charles Manson zum ersten Mal seine Musik gehört haben. Da kann man viel reininterpretieren. Wenn man will, kann man sogar einen tieferen Sinn darin finden, dass ich gestern ausgerechnet im Tourtagebucheintrag zu unserem insgesamt 88. Konzert der Bandgeschichte den Namen Adolf Hitler untergebracht habe. Ich kann euch beruhigen: Das ist tatsächlich nur ein Zufall. Ebenso ist es ein Zufall, dass wir auf den Tag genau vor einem Jahr auch in Köln aufgetreten sind. Zufall. Auf den Tag genau von 33 Jahren ist Wolf Biermann ebenfalls in Köln aufgetreten, übte dort offen Kritik an der DDR und wurde drei Tage später aus der DDR ausgebürgert. Zufall. Übermorgen feiert Wolf Biermann seinen 73. Geburtstag. Ol‘ Dirty Bastard würde ebenfalls übermorgen Geburtstag feiern, wenn er nicht heute vor genau fünf Jahren verstorben wäre. Zufall. Und dass ausgerechnet heute auch noch Freitag der 13. ist, naja, was soll ich sagen… Zufall!
Wie gesagt, Zufälle geschehen immer wieder, also was soll, lassen wir den alten Charlie wieder aus den Boxen dröhnen, die Verschwörungstheoretiker am Straßenrand stehen, und ab auf die Autobahn. Die Türme der Banken verschwinden langsam im Rückspiegel und nach einer kurzen Fahrt erscheinen vor uns die beiden Türme des Kölner Domes. Vor Ort ist alles total entspannt. Der Techniker ist noch beim Aufbau und wir machen uns erst mal über das üppige Catering her: Schweineschnitzel, Kartoffeln, gemischtes Buttergemüse, Salate, Brötchen, Wurst- und Käseplatten, diverse Getränke in heiß und kalt, verschiedene Knabbereien von Chips bis Schokoriegeln und jede Menge Obst. Alles was das Musikerherz begehrt ist dabei. Es ist die bisher beste Verpflegung, die wir bisher während der Tour hatten.
Nachdem wir unsere Bäuche gefüllt haben, erwartet und ein Interview mit einem Online-Musik-Magazin. Wir erzählen, dass wir unseren Bandnamen bei Fujiya & Miyagi geklaut haben, weil wir uns dadurch einen gewissen Schub erhofft haben, und dass unsere Musik nach surfenden Rentnern klingt, aber eigentlich nur ein billiger Abklatsch von Slayer ist. Ob die Interviewfrau weiß, dass wir sie die gesamte Zeit über nur belogen haben, wissen wir nicht. Sollten wir in dem Interview schlecht wegkommen, können wir es immer noch auf Freitag den 13. schieben. Also, egal. In erster Linie sind wir ja auch wegen des Konzertes in der Werkstatt. Nebenan im Underground treten heute die Gods of Blitz auf. Selbst das ist uns heute egal. Wie gesagt: Freitag der 13. Also machen wir einfach unser Ding, gehen auf die Bühne und schauen, was so passiert.
Der Blick von der Bühne zeigt ein recht junges Publikum. Vorne in der Mitte bildet sich eine pogende Traube aus jungen Männern. Drumherum im Halbkreis stehen junge Mädchen. Sie pogen nicht, sondern bewegen sich mal tanzend mal wippend zur Musik. Hinter den Mädchen steht dann der Rest des Publikums. Menschen in unserem Alter und älter. Allen scheint es zu gefallen. Uns gefällt es ebenfalls. Die Jungs schmeißen sich vor und auf die Bühne und spielen Luftgitarre. Die Mädchen dancen und halten ihre Kameras über die Köpfe der Jungs, um ein paar Schnappschüsse von der Band zu ergattern. Nach dem Konzert zieht es einige Besucher zum Merchstand, wo es seit heute die neuen Miyagi-T-Shirts gibt. Ein paar Mädchen trauen sich in den Backstagebereich und überreden uns, einen Gruß für ihre zwangsweise nach China aufgewanderte Freundin, die laut Aussage der Mädels unser größter Fan ist, in ihre Kamera zu sprechen. Für unseren größten Fan machen wir das doch gerne: „Hallo Lu, schade, dass du heute nicht hier sein kannst….“
Nach dem üblichen Autogramme-auf-die-gekauften-CDs-Schreiben, ziehen wir uns zu Speis und Trank in den Backstageraum zurück. Es war ein schöne Konzert. Die seltsame Stimmung von gestern ist vergessen. Also wird kurzerhand der Laptop im Backstageraum aufgebaut und aus den Boxen ertönt, wie könnte es auch anderes sein, Look at your Game Girl. Einige Stunden später verabschieden wir uns aus der Werkstatt und machen uns auf in die Nacht.

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IX. Dortmund

Wir erwachen in einem Playmobil-Hotel. Alles sieht hier gleich aus. Jedes Zimmer ist identisch. Unten ein Doppelbett, darüber ein Hochbett. In einer Ecke ein dreieckiger Tisch unter einem an der Wand befestigten Fernsehgerät. In der gegenüberliegenden Ecke ein dreieckiger Waschtisch mit einem eingelassenen runden Waschbecken. Links und rechts vom Becken befinden sich rechteckige Spiegel. Genauso sieht es in jedem Zimmer aus. Überall gleich. Die Toiletten sind wie in die Wand integrierte Dixieklos. Als hätte man Dixieklos gestapelt und dann eine Haus drumherum gebaut. Die Duschen sind wie Duschversionen von Dixieklos. Alles ist aus einem Guss und der Strahl der Dusche fetzt einem die gesamte Haut vom Körper. So gefällt uns das.
Leider sind wir zu spät für das Frühstück, so dass uns nicht anderes als McDonalds übrigbleibt. Was soll’s!? Da gibt’s auch Kaffee. Dann geht es wieder zur Werkstatt, wo wir unser Equipment über Nacht haben stehen lassen. Der Weg vom Hotel in Frechen zur Werkstatt in Ehrenfeld kommt uns vor wie eine Ewigkeit. – Fast genauso lang wie der Weg von Köln nach Dortmund, der kurz darauf auf uns wartet. Die gesamte Fahrt von Köln nach Dortmund ist es am regnen. Schön ist das nicht, aber wir können es ja nicht ändern.
dortmund1In Dortmund angekommen, ist es noch immer am regnen. Anscheinend haben wir kein Glück mit Dortmund. Als wir das letzte Mal in Dortmund waren, vor etwas über einem Jahr, war das Wetter zwar besser, aber ich wäre beinahe von einem Typen grundlos verprügelt worden. Solange mir das dieses Mal nicht passiert, ist mir egal, was heute hier in Dortmund passiert.
Naja, vermutlich sollte es mir doch nicht so egal sein. Das merke ich schon beim Soundcheck. Zunächst warten wir auf Kabel, weil sie nicht mit der Anlage mitgeliefert wurden. Dann dauert es noch mal ewig lange und am Ende hat es doch alles nichts gebracht. Irgendwie ist hier in Dortmund wieder dieses Gefühl vorhanden, dass wir bereits aus Frankfurt kennen. Ihr wisst schon, diese Geschichte mit dem Teufel und so… Vielleicht sollten wir doch noch mal an diese Geschichte mit der Jungfrauenopferung denken. Vielleicht. Aber Jungfrauen sind hier nicht zu sehen. Es gibt hier nur den Techniker, zwei drei andere Mitarbeiter und einen Hund, der die ganze Zeit durch den Laden rennt. Kurz bevor wir überlegen können, wo wir jetzt eine Jungfrau herbekommen, um die Idee in die Tat umsetzen zu können, kommt der Veranstalter mit dem Essen. Irgendwie sind wir überhaupt nicht überrascht, dass mal wieder Chili con Carne auf den Tisch kommt. Bislang gab es keine Tourwoche ohne Chili con Carne. Vermutlich gibt es irgendwo im Untergrund eine Organisation, die dafür sorgt, dass Bands ständig mit Chili con Carne gequält werden. Vielleicht steckt auch der Teufel dahinter, um die Bands mürbe zu machen, damit sie schneller in seine Arme laufen. Damit das nicht auffällt verändert er die Rezeptur von Woche zu Woche ganz leicht. So gibt es heute auch vegetarisches Chili con Carne. Also eigentlich Chili sin Carne, dafür mit Soja-Ersatz. Ich bin mal gespannt, was er sich nächste Woche einfallen lässt.

dortmund2Mit vollem Magen geht es dann auf die Bühne. Zu allem Überfluss haue ich einem Besucher beim dritten Lied den Bass auf den Kopf. Er überlebt ohne bleibende Schäden und verprügelt mich nicht, obwohl er im Gegensatz zu dem Typen vom letzten Jahr einen Grund dazu gehabt hätte. Nach dem Konzert fahren wir erst mal zurück in die Heimat. Nach Münster ist es von Dortmund ja nur ein Katzensprung. Nächste Woche geht es dann weiter mit folgenden Städten: Hamburg, Berlin und Detmold. Bis dahin…
Euer Axel
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